Alexander Hagner und Ulrike Schartner betreiben gemeinsam das Architekturbüro „gaupenraub+/-. Was sie planen, zielt darauf ab, Lebensbedingungen zu verbessern. Ein Gespräch über Architektur, die mit Menschen in Beziehung tritt.
Isabella Marboe: Eure Website definiert die ,Realisierung von Höchstleistungen in der Architektur‘ als Ziel. Der Name gaupenraub+/- ist in seiner Eigenwilligkeit auch eine Art Höchstleistung. Wie kam es dazu?
Ulrike Schartner: In unserer allerersten Zeit machten wir vor allem Dachausbauten, die Stadt bewilligte nur Gaupen. Wir schlugen unserer Bauherrin eine Alternative mit viel mehr Glas vor. Darauf meinte sie: ,Nein, unsere Gaupen dürft ihr uns nicht rauben.‘.“
Alexander Hagner: ,gaupenraub‘ verweist auf unser Streben nach Komplexität, das +/- auf das Bürosystem. Wir bearbeiten Projekte in verschiedenen Konstellationen.“
Isabella Marboe: Ihr kommt beide vom Handwerk. Wie verlief euer Weg zur Architektur?
Alexander Hagner: Ich wollte immer Architekt werden, aber auch meine Hände gebrauchen. Holz war mir sympathisch. Damit kann man den ganzen Tag arbeiten und abends sind die Hände genauso sauber wie in der Früh. So begann ich eine Tischlerlehre.
Ulrike Schartner: Ich wollte erst Journalistin werden, dann studierte ich Politikwissenschaften, Geschichte und Kunst. Schließlich landete ich am zweijährigen Kolleg für Innenaus- und Möbelbau in Mödling. Die anstrengendsten Studienjahre meines gesamten Lebens.
Isabella Marboe: Das klingt drastisch!
Ulrike Schartner: Wir hatten eine 44 Stunden Woche, auch samstags Schule und abends zu arbeiten. In den Ferien war Praktikum angesagt. Einmal in einer Tischlerei, einmal in einem Architekturbüro. Ich wollte keinesfalls den Rest meines Lebens Stubeneinrichtungen zeichnen, also machte ich die Aufnahmeprüfung in der Spalt-Klasse an der Wiener Angewandten. Die lag genau zwischen meiner mündlichen und schriftlichen HTL-Matura. Dadurch versäumte ich gleich das Einstiegs-Projekt. Das ärgerte die Assistentin außerordentlich.
Isabella Marboe: Wie war das bei dir?
Alexander Hagner: Ich musste sofort aus Deutschland wieder zurückfahren, um pünktlich am Montag in der Klasse zu sein. Ich hatte aber noch keine Wohnung. Da meinte die Assistentin: ,Bist du hier zum Studieren oder zum Wohnen?‘ So schlief ich die ersten zwei Wochen im Auto, einem Fiat 500. Das ging nur diagonal – so halbwegs.
Isabella Marboe: Ihr seid ja inzwischen fast Spezialisten für – nennen wir es verknappt ,soziale Architektur‘. Da geht es stark um Prozesse und den Umgang mit Vorgefundenem. Spalt aber war ein dominanter Architekt der alten Schule, der keine Widerrede duldet. Was habt ihr von ihm mitgenommen?
Alexander Hagner: Eine grundsolide Basisausbildung. Er vermittelte uns die Klassiker. Loos, Loos, Loos! Mies van der Rohe, Le Corbusier. Außerdem eine Sehnsucht nach Leichtigkeit. Er war ja Segelflieget und vertrat die Philosophie, dass die Erde schon belastet genug sei. Wir sollten sie mit der Baumasse von Architektur nicht noch mehr belasten.
Isabella Marboe: Das ist umso beachtlicher, wenn man bedenkt, dass er Jahrgang 1920 war!
Alexander Hagner: Seine Themen waren das leichte, abgehobene Dach und die Paravents. Er stellte immer zuerst das Dach auf, dann organisierte er den Bereich darunter, um zu definieren, wie der Raum in Beziehung mit seiner Umgebung tritt. Damit arbeiten wir heute noch.
Isabella Marboe: Das Eiermuseum für Wander Bertoni in Winden am See war euer erster eigenständiger, freistehender Bau. Und dann gleich ein Architekturpreis des Landes Burgenland und die Nominierung zum Mies-van-der-Rohe-Award, ein Ritterschlag. Wie kam es dazu?
Alexander Hagner: Bertoni besaß eine Sammlung von etwa 4000 unterschiedlichsten Eiern, Spalt hatte schon seine Mühle, Galerie und Atelier geplant. Beide waren sehr gut miteinander befreundet, auf einer seiner berühmten Serviettenskizzen zeichnete Spalt das Museum für die Eier: eine Art größeres Salettl mit rundem Grundriss. Er war damals schon zu alt zum Bauen, wir als Spaltschüler sollten wir das übernehmen. Wir aber waren überzeugt, dass er den Bauplatz falsch gewählt hat.
Ulrike Schartner: Daher musste das Museum anders aussehen. Unser Eiermuseum ist ein Glaskubus, durch den man auf die Weingärten, Wiesen und Sträucher sieht. Gleichzeitig ist es eine Vitrine für die Exponate und sehr wohl eine Hommage an Spalts Architektur. Seine wichtigsten Elemente sind da, wir haben sie nur anders übersetzt.
Isabellla Marboe: Wie reagierte Wander Bertoni, als ihr mit einem ganz neuen Entwurf dahergekommen seid?
Alexander Hagner: Er respektierte uns, obwohl er mit Kalibern wie Hans Hollein, Friedrich Kurrent, Johannes Spalt zu tun gehabt und wir noch nie ein Haus gebaut hatten. Sobal man uns vertraut, geben wir alles. So funktionieren wir.
Ulrike Schartner: Dazu muss man sagen, dass das Museum teurer wurde, als wir kalkuliert hatten. Die einzige Reaktion der Bertonis war: ,Macht euch keine Sorgen. Dann verkaufen wir halt noch eine Skulptur.‘
Alexander Hagner: Er hat das Projekt lieben gelernt. Wir planten ja nachher auch sein Mausoleum.
Ulrike Schartner: Es liegt nur ein paar Meter hinter dem Eiermuseum. Es sollte nicht auffallen und es fällt auch nicht auf. Das Einzige, das er selbst auf seinem Grundstück baute, war eine Gartenmauer aus Natursteinen. Die führten wir in einer Art Spirale weiter. Aus Beton setzten wir dann eine Gegenspirale dazu, die den Grabstein schützt. Das Dach darüber ist abgehoben.
Isabella Marboe: Ich darf eure Website zitieren: ,Der Fokus unserer unseres Architekturbüros liegt auf der Beziehungsfähigkeit der gebauten Umwelt.‘ Beziehungsfähig sind im allgemeinen Verständnis nur Lebewesen. Was macht einen Raum und die gebaute Umwelt beziehungsfähig?
Ulrike Schartner: Räume können Beziehungen ermöglichen oder verhindern, verbessern oder verschlechtern. Wenn es nicht nur eine Tür gibt, wo alles raus und rein muss, sondern ich die Wahl habe, kann das deeskalierend wirken. Als Architektin hat man da viele Möglichkeiten. Wir verstecken Materialien nicht, man weiß, was Holz oder Metall ist. Alle Gebrauchsspuren bleiben bestehen. Wir sind keine Glasarchitekten, bei denen alles offen ist. Bei uns gibt es immer Ecken, in denen man exponiert ist und andere, die Rückzug bieten.
Isabella Marboe: Ich finde ja, Bestand muss unbedingt erhalten bleiben. Er speichert so viel graue Energie, Materie, Erinnerung, Wissen und Geschichte. Alles nur zu bauen, hat etwas von einer Allmachtsfantasie. Es ist auch einfacher, alles zu bestimmen, statt auf Bestehendes reagieren zu müssen. Und natürlich ein besseres Geschäft.
Ulrike Schartner: Es war nicht immer so. Seit jeher baute man auf das Alte drauf- und am Alten weiter. Etwas Altes ganz abzureißen und dann etwas ganz Neues zu machen, ist ja eine Abart der jetzigen Zeit. Bei der VinziRast-mittendrin hatten wir nur Kaffeebohnensäcke als Material. Wir fanden einen tollen Polsterer, der die sehr hochwertig verarbeitet hat. Es sah aus wie ein gepolstertes Möbel. Weil das Material sehr billig war, hielt es aber nicht lange.
Alexander Hagner: Dafür gab es dann jemanden, der das immer wieder repariert hat. Wir haben andere Ressourcen als im normalen Baugeschehen. Meist geht es auch darum, jemandem eine sinnvolle Tätigkeit zu geben. Man muss Prozesse in die Gestaltung einbeziehen, von der Materialwahl über die Verarbeitung bis zur Formgebung.
Isabella Marboe: Was unterscheidet das Bauen für Bedürftige von anderen Projekten?
Ulrike Schartner: Zuerst ein Mal: das Geld. Die Finanzierung ist Teil der Bauaufgabe. Man muss überlegen, wie man zu Materialspenden und SpenderInnen kommt, welche Firmen man ansprechen, wer seine Arbeitskraft zur Verfügung stellen könnte. Dann ist zu bedenken, wie man das Material lagert, wer wo und wie mitarbeitet, wie das versicherungstechnisch aussieht. Ehrenamtliche sind ja nicht versichert.
Alexander Hagner: Leider gibt es noch keinen gesellschaftlichen Konsens, dass solche Projekte besser honoriert gehörten. Ein Armer, der sich unter einer Brücke verkriecht, lebt da mitunter zwei Jahre. Sobald mehrere dazu kommen, wird rasch geräumt. Das Schlimme an der Obdachlosigkeit ist nicht nur, dass ich nass werde, friere und Hunger habe, sondern vor allem, dass ich daran gehindert werde, mich zu sozialisieren.
Ulrike Schartner: Auf diese Degeneration des sozialen Vermögens geht das VinziDorf ein. Menschen, die so lang allein waren, halten Gemeinschaft nicht aus. Sie gehen in keinen Schlafsaal. So entstand die Idee vom Dorf, dass jeder eine Behausung – auch wenn sie noch so klein ist – für sich hat, wo er sein darf und keine Angst haben muss, dass die Polizei kommt oder ihm etwas gestohlen wird. Daher ist eine Tür wichtig, die man zusperren kann.
Isabella Marboe: Ihr lehrt beide. Was gibt man als Lehrender den Studierenden weiter?
Alexander Hagner: Meine Professur für soziales Bauen an der FH Kärnten nennen wir Architektur und Soziabilität. Wir beforschen, wie die Gestaltung des Außen- und des Innenraums das Miteinander befördern und behindern und kann.
Ulrike Schartner: Ich unterrichte Hochbau 2 an der TU Wien. Dort entwerfen Studierende Großprojekte, aber wie man etwas im Detail umsetzt, wird leider zu wenig vermittelt. Ich versuche, sie auf den Boden zu holen.
Isabella Marboe: Architekten und Architektinnen haben viele ihrer Kompetenzen an Generalunternehmer verloren, die Kostengarantien geben können und ein Projekt bis zur Übergabe aus einer Hand abwickeln. Wo liegt die Zukunft des Berufs?
Alexander Hagner: In der großen Komplexität des Bauens braucht es jemand, der mit all den Konsulent*innen, Nutzer*innen und Nachbarschaften in einem interdisziplinären Team zusammenarbeiten kann.
Isabella Marboe: Es geht ja immer um Beziehung. Ich habe den Eindruck, Alexander ist total empathisch, begeistert und immer übersprudelnd. Ulrike ist etwas zurückhaltender. Mir scheint, dass sie mehr am Boden steht, den Überblick hat und etwas pragmatischer ist. Wie arbeitet ihr zusammen?
Ulrike Schartner: Der Alex ist unser Optimist und ich komme dann mit: ,Schön, aber….‘ Dann landen wir halt irgendwo. Ich sehe sicher die Probleme schneller. Er sieht die Möglichkeiten.
Alexander Hagner: Unser Büro ist ein Minikollektiv. Jede Person hat ihren Schwerpunkt und etwas, worin sie ein bisschen besser ist. Ulrike holt mich immer auf den Boden und sagt: ,Alex, Zeit ist aus, Geld ist aus, fertig und Schluss!‘ Nur deshalb sind wir noch nicht wirtschaftlich gestorben.
Isabella Marboe: Wer bringt welche Ideen ein und wie wird das entwickelt?
Alexander Hagner: Das kann man so nicht sagen. Genau das ist das Schöne. Wir beziehen auch unsere Mitarbeitenden ein. Bei einem neuen Projekt kriegt manchmal sogar jede Person ein anderes Briefing oder eine Person das Briefing vom Bauherrn gar nicht.
Ulrike Schartner: Dadurch können wir ein Projekt von sehr vielen Seiten betrachten. Zu einem bestimmten Zeitpunkt setzen wir uns hier, an unseren runden Tisch und machen ein Brainstorming. Dann erzählt jeder und jede, welche Ideen er oder sie hat…
Isabella Marboe: Und am Ende kommen so wunderbare Projekte heraus wie eure! Vielen Dank für dieses Gespräch.