Hermann Hertzberger war ein Strukturalist mit höchstem sozialen Anspruch und ein Vorreiter der Partizipation. Ein neuer Bildband von Wolfgang Jean Stock mit schönen Schwarzweißfotos von Klaus Kinold zeigt fünf von Hertzbergers wichtigsten Bauten zu einer Zeit, als sie am allerschönsten waren.
Klaus Kinold hatte einen Blick für die Schönheit der strukturalistischen Architektur von Herman Hertzberger. Er feiert nicht nur ihre Ästhetik mit großer Meisterschaft, sondern macht auch ihren Gebrauch spürbar. Seine Bilder und die Texte von Wolfgang Jean Stock würdigen auch die Haltung von Herman Hertzberger. Am schönsten aber ist, dass sie Leuchtturmbauten wie die das Centraal Beheer Apeldoorn und die Apollo-Schulen in Amsterdam zu ihrer besten Zeit zeigen, als sie noch unverändert waren.

Es gibt einige Aspekte der Architektur, an denen Herman Herzberger in den 1970er-Jahren konsequent festgehalten hat und die heute für die Prozesse der Architektur oftmals entscheidend sind. Die Partizipation ist einer davon, insbesondere beim Schulbau. Ein weiteres Charakteristikum der Entwürfe des Niederländers ist die gekonnte Vernetzung seiner Bauten mit dem urbanen Kontext. Herzberger hat ihn bei Gebäuden wie dem Musikzentrum Vredenburg in Utrecht (1973–1978) aus Überzeugung und Demokratieverständnis mit dem Neubau verwebt. Seine Haltung hat sich durchgesetzt – der Kontext ist für viele Entwürfe ausschlaggebend. Die Zeiten des „Fuck Context“, um einen anderen berühmten Holländer zu zitieren, sind vorbei.
Betonsteine und Demokratie
Architektur könne nur Sinn haben, wenn sie „nachweisbar einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensumstände von Menschen“ liefere, so der niederländische Architekt, geboren 1932. Herman Hertzberger ist ein Menschenfreund. Nach seiner Vorstellung soll Architektur einen sozialen Auftrag haben, den sie in Gebäuden umsetzt, die sich offen für die die flexiblen Bedürfnisse seine Nutzer zeigen. Die Nähe zu den Ideen des Strukturalisten und Anthropologen Claude Lévi-Strauss und die Abspaltung vom CIAM (Congrès Internationaux d‘ Architecture Moderne) hatte schon Aldo van Eyck in den 1950er-Jahren aufgenommen. Sein Nachfolger Herman Hertzberger machte den niederländischen Strukturalismus international bekannt.

Einige Bauwerke aus seinem internationalen Portfolio sind heute Meilensteine der Architektur. Herzberger baute Schulen, Altenheime, Wohnanlagen und Bürogebäude, die sich in ihren Strukturen vollumfänglich der Demokratie verpflichten . Viele seiner Entwürfe zeichnen sich durch fehlende Hierarchien und ihre einfache Materialwahl aus. Insbesondere die Betonsteine stechen ins Auge, zu hellem Sichtmauerwerk mit feinen Fugen gesetzt.
Fünf Gebäude und ihre Grundprinzipien
In dem neuen Band „Herman Hertzberger. Strukturalismus / Structuralism“ porträtiert Wolfgang Jean Stock insgesamt fünf Gebäude von Herman Herzberger in knappen und aussagekräftigen Texten, die zum Verständnis beitragen. Die eindrucksvollen Fotos aus dem Archiv von Klaus Kinold sind vorwiegend schwarz-weiß, was die architektonische Sprache Hertzbergers noch hervorhebt. In kontrastreichen Aufnahmen werden die Grundprinzipien seiner Architektur sichtbar: die einfachen Materialien, klare Volumina und Linien, die gekonnte Lichtführung im Innenraum, und nicht zuletzt den Verzicht auf Repräsentation.


Neben dem Verwaltungsgebäude Centraal Beheer in Appeldorn (1968-1972) sind auch die Apollo-Schulen in Amsterdam dokumentiert, deren Reformpädagogik in vielen Punkten an heutige Bestrebungen und Schulreformen erinnert. Form, Funktion und Freiheit – für Herman Hertzberger gehören diese drei Stichworte zusammen. Das schöne Hardcover stellt das Vermächtnis des Niederländers vor. Es ist höchste Zeit, von Hertzbergers unaufdringlicher und konsequenter Architektur als einem Vorbild zu lernen.
Wolfgang Jean Stock „Herman Hertzberger, Strukturalismus / Structuralism“, Klaus Kinold (ed.)