Auf dem Areal der Alten WU am Wiener Alsergrund soll ein topmoderner Bildugscampus für die Uni Wien, die Boku, eine AHS und HTL entstehen. Auf die Wettbewerbsausschreibung wartet man gespannt, zumindest ein Teilabriss des Bestands ist fix. Zukunftsweisend ist das nicht, aus der Zivilgesellschaft bildete sich die „Allianz Alte WU“. Sie kämpft um den Erhalt von allem oder mehr.
Schönheit ist sie keine, doch auch sie war einmal der Inbegriff eines modernen Bildungsbaus auf der Höhe seiner Zeit: Die Alte WU am Alsergrund. Seither sind einige Generationen modernster Unis ins Land gezogen und steht auf ihrem Areal der Bau eines tompodernen Bildungscampus mit 150.000 m² Nutzfläche an. Am Rande einer Veranstaltung in der ig architektur hatte die damalige grüne Bildungssprecherin Eva Blimlinger im Juni 2024 geäußert, dass der „Zug für die Alte WU“ definitiv abgefahren sei. Davon unbeeindruckt, formierten sich kurz darauf die Allianz für Substanz, die IG Architektur, Architects for Future Austria, das Kollektiv Raumstation und engagierte Privatpersonen zur „Allianz Alte WU“, um für deren Erhalt zu kämpfen.



Nach auffallend langer Bauzeit wurde die Alte WU 1982 mit Pomp und Gloria eröffnet. Maître Helmut Leherb, ein Superstar des fantastische Realismus, Schöpfer der riesigen Fayencen der Kontinente im Foyer kam eigens aus Paris, Politiker und Politikerinnen, Wirtschaftstreibende und Promis: alle da, die Sektkorken knallten. Schon damals gab es 9.900 Studierende in dem Haus, das für 9.000 konzipiert war.
Bautechnische Pionierleistung
Die Überplattung der Gleiskörper des einstigen Franz-Josefs-Bahnhofs, auf der die Alte WU steht, schlug anno dazumal als bautechnischen Pionierleistung von Hlawenicka & Partner bis nach Amerika Wellen. Ihr Fundament ist ein gravierender Eingriff, so leicht wird man es nicht mehr los. Wie ein Wal taucht der riesige Komplex aus der umgebenden Stadtstruktur auf, seine sieben Geschosse sieht man ihm nicht an. Er ist Teil des Universitätszentrums Althanstraße vom Architektenteam Kurt Hlawenicka, Karl Schwanzer und Gerhard Kramp, zu dem auch das Biologiezetrum im Süden und ein Gebäude der Uni Wien im Osten zählen.




Die Alte WU ist viel besser als ihr Ruf. An ihren langen Seitenflanken sind Terrassen eingeschnitten, rückwärtig führt ein versteckter Weg an kleinen Grünflächen entlang. Die durchgehende, zweigeschosshohe Aula, die das Haus über seine gesamte Länge durchzieht, ist von einer Großzügigkeit, wie sie heute nicht mehr gebaut würde. Rund um die vier Erschließungskerne öffnen sich Galerien, die eine Verbindung zwischen zwei Ebenen schaffen. Die Gänge sind breit, die Materialien hochwertig, Terrazzo am Boden, Sichtziegelmauerwerk aus gebranntem Klinker von einer Qualität, die man sich heute kaum mehr leistet.
In ihren besten Momenten atmet sie den zuversichtlichen Geist einer Epoche, die retrospektiv fast selig anmutet. Ölschock hin oder her: Der Sozialstaat florierte, das Recht auf höhere Bildung zum Nulltarif schien selbstverständlich, man glaubte an Fortschritt, Technologie, Wissenschaft, Frieden, Wohlstand für alle und dass sich die Welt zu einem besseren Ort machen lässt. Bestand speichert die Energie seiner Bauzeit und repräsentiert deren Werte. Sein Abbruch ist immer auch die Auslöschung von Geschichte.

In ihren schlechtesten Momenten zeigen die Regelgeschosse enge, niedere, fensterlose Gänge mit vielen Türen, die alle gleich aussehen. Gipskartonwände und abgehängte Decken bilden zwischen den vier Liftkernen mit Sanitäranlagen in der großen, dunklen Mitte ein Labyrinth, das oft in Sackgassen endet. Gäbe es keine Farben in Sektor A, B, C und D, man wäre gänzlich verloren. In dieser lieblosen Eintönigkeit fällt Orientierung schwer, die niedrigen, fensterlosen Räume drücken aufs Gemüt und erschweren die Gemeinschaftsbildung in demselben Maß, wie sie im Foyer florieren könnte.
Bildungsbau der nächsten Generation
Im Jahr 2014 bezog die WU stolz den modernsten Bildungsbau der nächsten Generation. Auf 90.000 m² war am Rand des Praters entlang einer studentischen Flaniermeile der Campus WU enstanden, damals die größte Bildungsbaustelle Europas. Rund um den universitären Flagship-Store des Library & Learning Center von Pritzkerpreis-Trägerin Zaha Hadid mit seiner spektakulären Aula gruppieren sich singuläre Bauten von Peter Cook und CRB Studio, No.MAD Arquitectos, Hitoshi Abe, dem Estudio Carme Pinós und BUS Architektur. Dieses Büro von Laura Spinadel hatte das Teaching Center geplant und auch den städtebaulichen Wettbewerb gewonnen. Auf 55.000 m² lernen und lehren hier an die 25.000 Studierende und 1.500 Mitarbeitende, den öffentlichen Freiraum dazwischen nutzen viele, die universitären Bauten sind nicht öffentlich zugänglich. Knapp zehn Jahre nach Eröffnung wirkt dieses letzte Aufbäumen der Star-Architektur leicht veraltet, seither wurden noch Departments von Freimüller Söllinger und Franz & Sue dazugebaut, die nicht mehr ins städtebauliche Konzept des Campus eingebunden sind, aufgrund der Verwertung angrenzender Flächen durch das Viertel zwei ist es kaum erweiterungsfähig.
Im Vergleich dazu erscheint die gerasterte Stützenstruktur der Alten WU erstaunlich resilient. Nun soll an ihrem Standort und dem des einstigen Biologiezentrums der Uni Wien das nächste, topmoderne Bildungscampus entstehen. Der Campus wird der größte in Österreich sein. Auf über 150.000 m² werden die BOKU University, die Universität Wien, eine AHS und HTL angesiedelt, Anfang 2025 wird dafür ein EU-weiter, offener Wettbewerb ausgeschrieben. Es soll ein Leuchtturmprojekt für nachhaltiges Bauen werden. Diesem Ziel widersprechen allerdings Neubau und (Teil)-Abbriss des Bestandes massiv.
Die letzten 13 Jahre beherbergte die Alte WU viele Zwischennutzer. Im ersten Stock gab es ein kleines Café mit großartigem Espresso, in einem alten Glashaus ein Schutzzentrum für Papageien. Während deren Sanierung diente sie der Wiener Angewandten und Universität für Bildenden Künste als Ausweichquartier. 15 Institute der BOKU, einige der Uni und TU Wien, die Künstlerische Volkshochschule, die kreativen Räume und das Video Studio West, eine Tanzschule, das Kollektiv Raumstation und viele weitere schlugen hier ihre Zelte auf.



Längst sind die industriell gefertigten Großbauten dieser Zeit als Irrweg einer späten Moderne verfemt. Die Alte WU ist kein herausragendes Exemplar eines Betonbrutalismus, wie er quer über den Globus eine eingeschworene Anhängerschaft findet. Sie steht nicht unter Denkmalschutz, genau daher ist sie besonders interessant: Sie steht für die mehr oder weniger durchschnittliche, meist ungeliebte Masse aller Bauten, die zwischen 1970 und 1995 errichtet wurden, nun ins sanierungsbedürftige Alter kommen und einen erklecklichen Teil des bestehenden Bestands ausmachen. Sie könnte zu einem Referenzbeispiel für den Umgang mit Bauten dieser mit ähnlichen Problemstellungen sein. Ihre Ambivalenz, ihre schiere Größe, exponierte Lage und die vielen Erfahrungen von Nutzer*innen mit diesem Bau machen sie zum Kristallisationspunkt vieler Fragestellungen. Es ist gerade die Alte WU, für die sich die Zivilgesellschaft nun stark macht.
Der „Allianz Alte WU“ gelang es inzwischen tatsächlich, Vertreter der Stadt, des Bezirks, der ÖBB, der BIG als entwickelnder Errichter, sowie der involvierten Hochschulen so oft zu kontaktieren, dass die Notwendigkeit eines Abrisses der alten WU beziehungsweise des Prozentsatzes ihrer Erhaltung nun öffentlich diskutiert wird. Inzwischen hat die BIG die wesentlichsten Fragen der Allianz öffentlich auf ihrer Website beantwortet.






Am 30. Jänner lud das Institut für Raumgestaltung und Entwerfen an der TU Wien zu einer Diskussion über die alte WU. Institutsvorstand Wilfried Kühn, Architektin Anna Wickenhauser, die sich bei Docomomo mit Bestand der Moderne auseinandersetzt und der Statiker Peter Bauer vom genialen, innovativen WerkraumWien saßen am Podium. Außerdem Architektin Lina Streeruwitz, deren Büro Vlay Streeruwitz für die BIG die Studie erstellt hatte, die eine Bestandserhaltung prüfte. „Wir studierten die alte WU sehr genau und hielten lang am Erhalt fest, doch der Nutzungsdruck erhöhte sich immer weiter“, sagt Streeruwitz. „Dass der Bestand nicht unter Denkmalschutz steht, ist ein großer Vorteil.“ Vlay Streeruwitz untersuchen genau, wie man Licht in die enormen Dunkelzonen bringt, wo man aufstocken kann, was erhaltenswert erschien, was statisch möglich war. „Auf den bestehenden Strukturen konnten wir auf 120.000 m² Nutzfläche nachverdichten.“ Gefordert sind allerdings 150.000 m². Bei den Laborräumen und ihrer überzüchteten Haustechnik stießen sie an ihre Grenzen und kamen zu dem Schluss, dass ein Teilabbruch erforderlich sei und neu bauen empfehlenswert. Die bestehenden, sehr niederen Raumhöhen sind nur zu 50% gut nutzbar und die Erschütterungssicherheit für den Laborbetrieb nicht gegeben. Fragt sich, ob gerade die Überplattung der richtige Standort für eine derart sensible Nutzung ist.

Die Fakten, die Peter Bauer vom einzigartig innovativen Statikerbüro werkraum Wien anführt, geben zumindest zu denken. „Bestand zu nutzen ist immer nachhaltiger, als neu zu bauen“, sagt er. „Statisch ist die alte WU höchst effizient. Sie hat eine Grundstruktur von 7,20 mal 7,20 Meter, 16 cm hohe Betondecken und Unterzüge. Die Struktur abzureißen – da rede ich nur vom Massivbau – entspricht eine Äquivalent von 4 Mio. kg CO2. Um das abzubauen, muss ein Wald in der Größe des ersten Bezirks ein Jahr lang frische Luft produzieren.“ Starke Argumente für 120.000 m² Nutzfläche im Altbau, den man zu einem nachhaltigen Vorzeigeprojekt machen könnte.



„Aus diesem Bestand könnte viel entstehen. Das setzt voraus, dass man die Bausubstanz genau erforscht. Eine der großen Herausforderungen sind die richtigen Unterlagen, um das Tragwerk bestimmen und damit eine solide Grundlage für einen Wettbewerb zu schaffen zu können.“ Dieser Punkt ist entscheidend: Bis dato wurden alte Bauten eher als bauliche Substanz, denn als bauliches Potential gesehen. Für den derzeigen Paradigmenwechsel vom Neubau zur Bestandsnutzung fehlen geeignete Instrumentarien. „Um mit Bestand gut umzugehen, braucht man genug Information. Vielleicht sind unsere Methoden einfach nicht die richtigen“, meint Peter Bauer. Johannes Zeininger von der „Allianz Alte WU“ und ig architektur forderte für den Wettbwerb eine Bevorzugung der Projekte, die mehr Substanz nutzten und stellte eine andere Bewertungsmatrix, die das Kriterium der Wirtschaftlichkeit weniger hoch reiht, zur Diskussion. Martin Hess, rief die 150.000 Tonnen Baumasse ins Bewußtsein, die weniger abgerissen würden.

Im Rückblick auf die Halbwärtszeit topmoderner Bildungsbauten stellt sich die Grundfrage: wie lang bleibt eine genaue Bedarfserhebung gültig? Technologien werden ständig kompakter, Rechenzentren der 1990er waren keine zehn Jahre nach ihrer Errichtung obsolet. Streeruwitz fand ein versöhnliches Ende: „Vor zehn Jahren wäre die Allianz für Substanz nicht dagesessen.“ Derzeit geht man der Wettbewerbsausschreibung für den topmodernen Campus auf den Althangründen von Neubau und Teilabbriss des Bestandes bis auf 40% der Tragstruktur aus. Der Tag ihrer Veröffentlichung wird mit Spannung erwartet.