In der Kunst zeigten sich gesellschaftliche Verwerfungen immer schon früher und deutlicher als anderswo. Wie unter dem Brennglas werden die Bruchlinien der gegenwärtigen Diskurse in unterschiedlichen Ausstellungen deutlich.
Venedig, Eröffnung der Kunstbiennale 2024, vor dem deutschen Pavillon in den Giardini: Das für die Pressehandys posende Kurator*innen- und Künstler*innenteam bemüht sich ehrlich, den Stress der vergangenen Wochen nicht ins Bild zu tragen und tapfer zu lächeln, als eine Gruppe von Pro-Palästina-Demonstrant*innen die Aufmerksamkeit für sich beansprucht und vehement zum Boykott des deutschen Beitrags aufruft. Es ist eine No-win-Situation: Das Presseshooting wird vorzeitig beendet, das deutsche Team tritt in den Hintergrund und überlässt die Bühne den Demonstrant*innen. Man scheint sich an sie gewöhnt zu haben: „Sie waren gestern auch schon da“, sagt jemand aus dem Publikum. Aber ändert das etwas an der Ausweglosigkeit der Situation? „We refuse to be intimidated, we refuse to be silenced”, skandieren die Aktivist*innen. Ihre Forderung nach einem Stopp der deutschen Unterstützungen für Israel scheint auf den ersten Blick hier vor dem deutschen Pavillon nicht überraschend, auf den zweiten vorschnell ungerecht. Denn gerade der deutsche Beitrag ist ein Appell an multiperspektivische Ko-Existenz. Architektin und Kuratorin Çağla Ilk widmete ihn vor der Folie herrschender Konflikte den ephemeren Zwischenräumen. „Tresholds“ findet an zwei Orten statt. Der Beitrag in den Giardini ist durch die gemeinsame Partizipation türkischer, deutscher und israelischer Teilnehmer und Teilnemerinnen im Pavillon gekennzeichnet – es ist wie ein Friedensangebot.
So hat der Bühnenbildner und Künstler Ersan Mondtag ein „Monument für einen unbekannten Menschen“ geschaffen; er errichtete im Inneren des Pavillons einen Turm, in dem die Biographie und der Alltag seines Großvaters, der 1968 aus der Türkei nach Westberlin auswanderte, dokumentiert war. Zu sehen waren dabei authentische Materialien oder Wohnungseinrichtungen, die zeigen, unter welch prekären Bedingungen die damaligen „Gastarbeiter“ als „unbekannte Menschen“ gelebt haben. Der Pavillon wird aber auch von Yael Bartana bespielt, einer Künstlerin mit Wurzeln in Israel und Polen, die eine Art Retro-Vision einer idealen Nation in verschiedenen Medien, hauptsächlich Videos präsentierte. Die martialische Rhetorik der großformatigen Videoprojektionen kann eine indessen angesichts der aktuellen Kriegsschauplätze auch nachdenklich, wenn nicht gar verstört zurücklassen. Der zweite Teil des deutschen Beitrags wurde gemeinsam mit weiteren Beteiligten auf der Insel La Certosa als ein mehrstimmiges und multinationales Gemeinschaftsprojekt konzipiert, die übliche hierarchische Richtung einer Ausstellungsplanung von „oben“ nach „unten“ bewusst vermieden. Diese Situation, und diese Szene, zeigen exemplarisch, wie verfahren viele Kommunikationswege im zeitgenössischen Kunstbetrieb derzeit sind.
Repression und Solidarität
Gleich gegenüber von dieser „Kampfzone“ mit den pro-palästinensischen Demonstrant*innen beim Deutschen Pavillon befindet sich ein weiterer Schauplatz öffentlicher, in diesem Fall jedoch offizieller Proteste: Umweltaktivist*innen tragen vor dem tschechoslowakischen Pavillon ihre Bedenken gegen die fortschreitende Umweltzerstörung in der Slowakei und die zunehmende staatliche Repression im Kulturbereich vor, die sich mit der neuen mitte-rechts Regierung unter Robert Fico noch verschärft hat. Das Projekt Floating Arboretum ist der Beitrag des Künstlers Oto Hudec und eines Teams engagierter Aktivist*innen: „The Slovak cultural community is facing difficult times right now – but seeing this dedication, perseverance, and solidarity among cultural workers – … I still have hope”, schrieb Hudec auf seinem Instagram-Kanal. Währenddessen bleibt ein weiterer Pavillon auf dieser 60. Kunstbiennale, der israelische nämlich, geschlossen. Eine Verlautbarung an der Tür des…