Wohnen ist ein Grundrecht des Menschen. Wo Kapitalstreben den Ton angibt, mutiert ein Grundrecht rasch zur Wertanlage. Wenn Immobilien zu Spekulationsobjekten werden, ist günstiger Wohnraum ein rares Gut. Eine kurze Geschichte zu Strategien gegen die Wohnungsnot.
Die Welt steckt in der Krise, der Globus brennt. Finanzkrise, Klimakrise, Pandemiekrise, Demokratiekrise. Auch die Architektur steckt in einer Krise, einer Sinnkrise. Krisenzeiten lassen Behausung oft zu Kapital und Architekturschaffende für ihre Bauherrschaften zu Experten im maximalen Ausnutzen von Kubatur werden. Geht etwas schief, übernehmen Juristen, Versicherungen, Masseverwalter. Natürlich ist diese Darstellung überspitzt, aber nicht ganz falsch.
Auch zur Zeit des Bauhauses war Krise, doch an der Wirkmacht von Architektur und Kunst bestand kein Zweifel. Bauhausgründer Walter Gropius war überzeugt, dass gute Gestaltung zu einer besseren Welt führt. Bei der Bauhaus-Ausstellung 1923 in Weimar zeigte man innovative Wohntypologien mit „Raumzellen“, die verschieden zu kombinieren waren.
Haltung polarisiert
Nach dem Wahlerfolg von Rechtskonservativen musste das Bauhaus Weimar verlassen, die rasch wachsende Industriestadt Dessau nahm es mit offenen Armen auf. Dessau erhoffte sich vom typisierten Bauen, das Gropius propagierte, eine Linderung seiner Wohnungsnot. Die Mustersiedlung Dessau-Törten war ein Experiment. Optimierte Bauprozesse, vorgefertigte Bauteile und neue Materialien sollten hohe Wohnqualität zu geringen Kosten schaffen. Bei den ersten sechzig Häusern gelang das nicht, aber man lernte dazu. 1928 wurden in 88 Arbeitstagen bereits 130 Häuser hergestellt. Die fertige Siedlung bestand aus 314 verschiedenen Typen mit 57 bis 75 Quadratmetern Wohnfläche, dazu Nutzgärten von 350 bis 400 Quadratmetern zur Selbstversorgung und Kleintierhaltung. Die Siedlung Dessau-Törten hatte Baumängel, wird aber bis heute von ihrer Bewohnerschaft geliebt. Eine Überlebensgarantie für Architektur.
Wien lag nach dem ersten Weltkrieg so danieder, dass vorerst nur Eigeninitiative half. Die dortige Siedlerbewegung ist eine Geschichte der Selbstermächtigung. Sie begann als „grass roots“-Bewegung mit wilden Siedlungen, das Siedlungsamt der Gemeinde Wien brachte Struktur und gute Architektur in den Selbstbau und die Selbstversorgung. Adolf Loos war dort Chefarchitekt, 1920 ließ er sein Konstruktionsschema für das „Haus mit einer Mauer“ patentieren. „Loos‘ System war wirtschaftlich und logisch, aber sein Zweck war nicht die Förderung der Massenproduktion standardisierten Wohnraums: es sollte einfach und billig genug sein, dass Fabrikarbeiter in der Stadt sich diese Bleibe leisten und selbst bauen konnten“[1], analysiert Eve Blau in ihrem Standardwerk zum Roten Wien. Loos forderte Gärten, die „nicht größer als maximal 200 m², lang und schmal sein“[2] sollten, um sie wirtschaftlicher betreiben zu können. 1921 plante er mit Margarethe Schütte-Lihotzky die „Frie…