Vor knapp 15 Jahren war die Marktstrasse von Hohenems eine zweispurige Bundesstraße. Je mehr Lastkraftwagen damals durch die Altstadt bretterten, umso mehr Menschen nahmen Reißaus. Dann Projektentwickler Markus Schadenbauer Schritt für Schritt die Revitalisierung der Altstadt von Hohenems voran. Sie wurde 2024 mit dem österreichischen Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit ausgezeichnet.
Isabella Marboe
Frida’s Bioladen in der Hohenemser Marktstrasse 28 ist längst eine Institution. Jeder und jede in Vorarlberg kennt ihn. Hier gibt es kein Verpackungsmaterial und wird mittags aus biologischen Zutaten frisch gekocht. Auf der Straße, im Durchgang und im Hof stehen Sessel und Tische. „Lösungen gibt es viele, wir müssen nur bereit sein, sie zuzulassen“, ist auf der Website des Ladens zu lesen. Das gilt auch für die großflächige Revitalisierung der Altstadt von Hohenems.
Hoch über der Stadt trohnt die Burgruine Alt-Ems, einst Sitz eines einflußreichen Geschlechts, das Reichtum und Ruhm seinen Söldnern verdankte. Sie kämpften unter anderem auch für die Medicis, Wolf Dietrich von Hohenems ehelichte Chiara, die Schwester von Papst Pius IV. (1559-1565). Sein Sohn Markus Sittikus ließ die schmalen Grundstücke parzellieren, die heute noch die Struktur der Stadt bestimmen. Er siedelte die besten Handwerker an, seinen Palast plante der aus Rom entsandte Stararchitekt Martino Longhi. 1617 gewährte Reichsgraf Kaspar von Hohenems den Juden weitreichende Rechte. Die jüdische Gemeinde florierte, 1862 zählte sie 564 Einwohner. Es gab eine Synagoge, eine Mikwe (Ritualbad), ein Armenheim und einen Friedhof. Bereits vor der nationalsozialistischen Machtübernahme wanderten die meisten Hohenemser Juden und Jüdinnen aus, der Nationalsozialismus löschte dann endgültig alles jüdische Leben aus, die Bauten aber blieben erhalten.
Zweispurige Bundesstraße
Es ist keine fünfzehn Jahre her, da war die Marktstrasse in Hohenems noch eine zweispurige Bundesstraße. Täglich brausten rund 10.000 Fahrzeuge an den mittelalterlichen und barocken Häusern vorbei. „Ich hatte mein Büro in der Harrachgasse“, erzählt Projektentwickler Markus Schadenbauer, der 2004 nach Hohenems gezogen war. „Jeder Lastkraftwagen erschütterte das Haus. Wer konnte, nahm Reißaus.“
2009 lag die Straße fast im Koma, eine Passantenfrequenzmessung kam auf gerade einmal 36 Menschen pro Stunde, ein Jahr später stellte das Bundesdenkmalamt nach dem jüdischen Viertel auch die Marktstrasse unter Ensembleschutz. Viele Hauseigentümer wollten damals ihre Immobilie verkaufen, keine fünf Geschäfte waren mehr vorhanden. „In so einer Situation muss man neu denken“, sagt Schadenbauer. Er ist sehr historisch interessiert, erkannte das Potential der reichen Stadtgeschichte und dachte in ihrem Sinne weiter. Die Ansiedlung der Filialen großer Ketten kam für ihn nicht in Frage, dafür setzte er auf kleine, eigentümergeführte Geschäfte.
Pionier
Das erste war der Bioladen Frida von Gastronomin Daniela Eiterer. In der Marktstrasse stehen die Häuser Mann an Mann auf sehr schmalen, langen Parzellen geschlossen nebeneinander. Die Häuser Nummer 28 und 30 liegen in erster Front auf dem sogenannten Beck Areal. Dieses zieht sich von der Marktstrasse im Westen als ca 90 Meter lange Doppelparzelle über den gesamten Häuserblock bis zur Schlossbergstraße im Osten durch. Bräunlicher Anstrich, Fenster ohne Läden, grobe Geschäftsportale und das Schild „Auto Beck“ verunstalteten die denkmalgeschützten Häuser zur Unkenntlichkeit, die Architekten Nägele und Waibel sanierten sie sorgfältig. Historischer Kalkputz und Kastenfenster mit blaugrauen Fensterläden bringen die Schönheit der Fassaden zur Geltung, die Geschäfte sind spiegelgleich am Durchgang in den Hof angeordnet. Ihre Schaufenster reichen bis zum Boden und sitzen wie Rahmen in der Fassade. In den Nischen der Eingangstüren kann man Regen abwarten, große Fenster öffnen die Läden zum Durchgang in den Hof. Alle privaten, aber öffentlich zugänglichen Freiräumen wurden vom Büro stadt.land einheitlich gestaltet und mit Kopfsteinpflaster belegt. Das schafft Verbundenheit. Die Gestaltung der öffentlichen Straßenräume hat die Stadt Hohenems über eine Ausschreibung an das Büro Lohrer.Hochrein vergeben. Beim Liegenschaftsmanagement des „shared space“ arbeitet die Stadt mit der Schadenbauer Projekt – und Quartiersentwicklungsgesmh., die als
Bauherrschaft und Bauherrenvertreter agiert, zusammen.
Hofseitig war bereits in den 1970er Jahren zugebaut worden, die Architekten ersetzten den Zubau durch eine Glas-Stahlkonstruktion, die den Wohnraum um eine Loggia und Dachterrasse erweitert. Das Hinterhaus beherbergt heute zwei Dienstleister, den Durchgang führte man bis hinteren Grundgrenze durch. Dort schließen zwei Neubauten mit insgesamt 22 Wohnungen und einer weiteren Dienstleistungseinheit an. Diese Nachverdichtung bildete den Auftakt zur weiteren Entwicklung „Das war ein Signal nach außen“, sagt Schadenbauer. Bereits 2004 hatte die Gemeinde einen Bebauungsplan beschlossen. Baulich wurde dennoch jahrelang nichts umgesetzt. In Bestandsbauten sollten im Erdgeschoss Handels- und Dienstleistungsbetriebe angesiedelt und leere Grundstücke in zweiter und dritter Reihe verdichtet werden. Ein groß angelegter sozialer Prozess im Jahr 2013 half bei der Entwicklung. „Der große Vorteil war, dass Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen miteinander gesprochen haben. Trotz vieler Meinungsverschiedenheiten hatten sie ein sehr ähnliches Bild von Hohenems. Da wusste ich, dass wir in die richtige Richtung arbeiten“, sagt Schadenbauer.
Teil des Ganzen
Imgang Architekten sanierten die Marktstrasse 14 und planten am hinteren Teil der Parzelle einen vierstöckigen Neubau. Ein schmaler, eingeschossiger Zubau verbindet ihn mit dem denkmalgeschützten Haus an der Straße. Dessen Balkendecke konnte erhalten bleiben, der alte Parkett mit dem Nußholzfurnier im ersten Stock, das Linoleum im kräftigen Rot, die lachsfarbenen Wände, die Fassade mit dem hauchzarten Grünton: alles wurde genau befundet und sorgfältig saniert. „Farbiger Kalkkratzputz, Holzfenster und -fensterbänke betonen den Charakter des denkmalgeschützten Hauses. Der Neubau im Hof bleibt schlicht und ist optisch mit dem Bestand verbunden.“ sagt Architektin Alexandra Schmid Roner. „Auf die Abstimmung der Farben legten wir besonderen Wert.“ Diese Achtsamkeit spürt man. Dem Bauherren war wichtig, dass man durch das Grundstück durchgehen kann. Deshalb setzt sich der Durchgang neben dem Geschäft in einer lichten Pergola fort, die sich zum kleinen Platz aufweitet, der bis auf die angrenzende Straße reicht. Das schafft einen Spazierweg und belichtet die Wohnungen im Neubau von Süden her. Das schmale Haus mit der Maisonette unterm Satteldach ist aus Ziegeln gemauert, alle Fenster sind raumhoch verglast, die Fassade spielt mit Putzoberflächen, die Geländer der französischen Fenster sind leicht geschwungen. Eine Referenz an die barocken Formen des Bestands. „Was hier zählt, ist das Ganze, an dem so viele Architekten beteiligt sind“, so Schmid Roner. „Unsere Häuser sind nur ein kleiner Beitrag.“
Im Norden mündet die Harrachgasse in die Marktstrasse ein, sie bildet gleichermaßen einen Bug. Dort klumpen sich drei alte Häuser zusammen, was zu einem abenteuerlich verschnittenen Dach aus Kreuzgratgiebeln und Graten führte. Dahinter gab es einen Parkplatz und ein kleines, verzogenes Hinterhaus. Das schrie nach Verdichtung. Architekt Bernardo Bader setzte zwei Neubauten in das komplexe Gefüge. Beide sind massiv aus 50 cm starken Ziegeln gemauert und mit Kalk verputzt. Das passt zur Nachbarschaft. An der Harrachgasse reihen sich die Häuser lose aneinander, auch Baders viergeschossiges Haus mit Satteldach steht frei. Sein First verläuft parallel zur Straße, also genau im rechten Winkel zum westlichen Nachbarn. Die Proportionen der gefaschten Fenster mit den französischen Balkonen orientieren sich an ihrer Umgebung.
Die lange, fünfachsige Fassade schließt ihre Baulücke fast zur Gänze und schirmt so das freigeformte Gebäude dahinter ab. Man kann aber an beiden Stirnseiten vorbei noch bequem auf den kleinen Platz gehen, der sich vor dem Eingang auftut. Der Grundriss besteht annähernd aus zwei unregelmäßigen Trapezen, deren Schnittline dem First des verzogenen Satteldachs entspricht. Diese Sonderform reagiert auf das Zwickelgrundstück in zweiter Reihe und auf die Kindergruppe im Erdgeschoss. „Die größte Herausforderung war die richtige Setzung in dieser kleinteiligen Stadtstruktur“, sagt Bernardo Bader. „Ich wollte den Straßenzug schließen und den Kindern einen geschützten Freiraum schaffen.“ Beides ist gelungen.
Mit den Menschen planen
Das Visionscafé, das sich 2013 gegründet hatte, gibt es nach mehr als 10 Jahren immer noch. Jeden Samstag vormittag treffen sich dort Hohenemser und Hoheemserinnen, um über ihre Visionen der Stadt zu sprechen. Schadenbauer stellt ihnen dafür immer ein Lokal, das noch nicht vermietet ist, als Pop-Up-Kaffee zur Verfügung. „Das Visionscafé hat schon den Ruf, dass das nächste Haus saniert wird, sobald es weiterzieht.“ Schrittweise setzte er – je nach Projektgröße auch mit Partnern – an die 38 Immobilien im Zentrum um. Was nach so viel klingt, erfolgte nach und nach über viele Jahre hinweg. „Es sind lauter kleine Bausteine.“ Sein Anspruch an Architektur war hoch. „Man muss etwas mehr Geld in die Hand nehmen, kann dafür aber über einen längeren Zeitraum kalkuliert werden“ Doch Qualität amortisiert sich. Ein Satteldach kostet mehr, aber es hält wesentlich länger. Vom Mehrwert, den es der Stadt bringt, ganz zu schweigen.
Alle Häuser sind ähnlich, aber verschieden. Deshalb beauftragte Schadenbauer unterschiedliche Büros. Nägele und Waibel, Georg Bechter, ma.lo mit Michael Egger, Hein Architekten, Bernardo Bader und Imgang Architekten fügten sich allesamt sensibel in das kleinteilige, gewachsene Ensemble und verdichteten es umsichtig nach. Bis Ende 2024 werden 38 Gebäude mit 240 Wohnungen und 78 Gewerbeeinheiten mit einer Gesamtnutzfläche von 21.000 m² geschaffen sein. Davon entfallen 2/3 aufs Wohnen und 1/3 auf Gewerbe, Kinderbetreuung inklusive. 90% der Flächen sind Mietflächen, 10 % Eigentum. Die Vermietung der Geschäftslokale nimmt Schadenbauer sehr genau, die Mischung muss stimmen. „Wir hatten mehrere Anfragen von Bioläden, aber wir brauchen keinen zusätzlich mehr.“ Eine Frida ist genug und das Original ist nicht zu übertreffen.
Kein Ende, mehr Zukunft in Sicht
Am anderen Ende der Marktstrasse steht die Villa Iwan und Franziska Rosenthal, ein vormals opulent ausgestattetes Juwel des Baujahres 1890. Kaum zwanzig Jahre lebten die jüdischen Industriellen in dem Haus, die Nazis und ein Käufer folgten, jahrzehntelang wurde es nur untergeordnet genutzt. „Das war ein Glück, dadurch ist nichts zu Tode renoviert“, sagt Ernst Waibel vom Büro Nägele-Waibel. „Diese Villa ist in ihrer Bedeutung einzigartig in Vorarlberg. Sie baut auf einem Gebäude des Jahres 1823 auf, es ist interessant nachzuvollziehen, wie die Architekten damals vorgingen.“ Nägele-Waibel bauen die Villa gerade zum Literaturhaus Vorarlberg um. Nukleus wird ein kleiner Park mit den beiden 35 Meter hohen Bestandsbäumen hinter der Villa. Dahinter entstehen zwei- bis dreigeschossige Wohnbauten, welche das Büro Hermann Kaufmann geplant und umgesetzt hat. Das neue Rathaus entsteht gerade. In den Stadthäusern von Bernardo Bader nistete sich schon ein französischer Bäcker und eine Bar ein. Die Geschichte geht weiter.
Die Erstpublikation wird in der wundervollen Zeitschrift piranesi, Herbstausgabe, No. 51 – 52, vol.32 erscheinen