Das Seedomizil in Lochau ist ein recht dicht besiedeltes Neubauquartier zwischen Bodeseeufer und Ortszentrum. 206 Wohnungen gibt es hier und einen kleinen Andachtsraum als Ort der Stille.
Papst Franziskus wird hier nie mehr seinen Fuß hinsetzen. Selbst, wenn er noch lebte, wäre es fraglich, ob es ihm die Reise wert wäre. Denn im Seedomizil Lochau leben keine Benachteiligten, Bedürfigen und Marginalisierten. Hier zu wohnen, ist teuer, das Grundstück liegt schließlich einen Steinwurf vom Bodenseeufer, der Ortskern ist nah, die nächste Pfarre aber weit weg. Orte der Komplentation und Stille gibt es heute ohnehin zu wenig.

Lang war das Areal als Betriebsgebiet gewidmet, hier Wohnbauten zu entwickeln, erforderte einen langen Atem. Die i+R Wohnbau GmbH hatte ihn. Das Seedomizil Lochau wird seinem Namen gerecht, es ist wirklich nah am Wasser gebaut und ist auto- und barrierefrei. Mensch und Bauträger sollten profitieren, die Bebuung ist ziemlich dicht, der städtebauliche Entwurf stammt von den Architekten Gohm/Hiessberger/Innauer/Matt, sie entwickelten 13 Punkthäuser, die zwischen drei und sieben Geschosse hoch in einem verzweigten Wegenetz auf das Grundstück gewürfelt sind. Das macht die Dichte verträglicher. Kleine Plätze, Rasenstücke, Brunnen, Baumgruppen und zwei renaturierte Bachläufe gliedern das Quartier.



Insgesamt 206 Wohnungen gibt es hier, außerdem in der Nähe einige Nahversorger. Doch der Mensch lebt nicht von Brot allein. “Wir wollten, dass das Quartier auch eine soziale Qualität hat”, sagt Projektentwickler Andreas Deuring, der die Umsetzung der kleinen Kapelle vorangetrieben hat. Der Bauplatz liegt in einer Schlüsselposition am östlichen Eck des Grundstücks. “Es gibt hier zwei Bäche, der Oberlochauerbach war verrohrt, der Kugelbeerbach, war verbaut. Die wollten wir renaturieren und begehbar machen.” Am Ufer des zweiteren liegt nun die Kapelle. Ein spektakuläres erstes Projekt scheiterte am Hochwasserschutz, im zweiten Anlauf schrieb die i+R Wohnbau GmbH. einen geladenen Wettbewerb für einen Andachtsraum aus. Diese Hartnäckigkeit würde Franziskus ebenso gefallen haben wie die absolute Schlichtheit des Objekts und seine Lage am Fluss. Der sehr zurückhaltende Entwurf von Architekt Michelangelo Zaffignani schafft einen Ort konzentrierter Stille.

Der kleine spirituelle Raum liegt am renaturierten Kugelbeerbach. Sein Ufer trennt das Seedomizil von der angrenzenden Wiese. “Durch die Renaturierung hat man einen unglaublich schönen, freien Blick auf den See,” sagt Zaffignani. “Es ist eine Art Torsituation.” In dem kleinen Baukörper scheinen sich die verschiedenen Strömungen und Energien dieses Ortes zum kompakten Volumen zu verdichten. Sein Grundriss ist ein Quadrat. Darin liegt tiefere Symbolik. Es ist eine in sich ruhende Form. Perfekt, um sich zu sammeln.


Von sehr weit weg wirkt der einfache Quader wie eine abstrakte Skulptur. Seine Anmutung ist unorthodox und rätselhaft, denn weder Fenster, noch Tür sind zu erkennen. Es könnte ein Verteilerkasten sein – oder ein anderes technisches Infrastrukturbauwerk. In Wirklichkeit ist es ja auch eine Art Infrastruktur für die Seele. Kommt man näher, beginnt sich der Nebel um seine Funktion zu lichten: Denn im Stanzmuster der weißen, leicht schimmernden Metallfassade sind lauter kleine, gleichschenkelige Kreuze erkennbar. “Das Kreuz liegt in der zweiten Ebene, denn der Andachtsraum sollte konfessionsfrei sein”, sagt Zaffignani. Die gleichschenkelige Kreuzform ist ein altes, archaisches Symbol. Ihre vertikale und horizontale Linie verweisen auf Nord, Süd, Ost, West, auf Himmel und Erde, die Verbindung von Körper und Geist. Das Muster des Kreuzes macht die Fassade zum feinen, weißen Geflecht, das innen ein sehr schönes Licht erzeugt.

Der Andachtsraum konzentriert sich auf das Wesentliche. Seine tragenden Wände und die Decke sind aus 12 cm starkem, massivem, weiß lasiertem Tannenholz, sein Grundriss ist ein Quadrat von 4,25 Meter Seitenlänge. Ein richtungsloser Raum mit einer lichten Höhe von 6,43 Meter. In seiner Schlichtheit ist er doch besonders: in alle vier Holzwände sind parabelförmige Öffnungen eingeschnitten – jede unterschiedlich hoch. Die vier Ecken des Gebäudes sind aus massivem Holz, dazwischen verliert sich die gedachte Verlängerung der Parabelform im Boden der Unendlichkeit. Eine matte Folie auf dem Glas lässt das einfallende Licht weich wirken, das kleine Oberlicht in der Decke schafft eine Verbindung zum Himmel. Über dem niedrigsten Parabelfenster ist in der Wand ein Kreuz eingefräst. Sein blaues Glas färbt das Sonnenlicht.


© Petra Rainer
“Viele joggen, radeln oder spazieren hier vorbei. Dieser Raum ist für alle da, die Einkehr halten wollen”, sagt Peter Holzner, Mitglied des Pfarrkirchenrates. “Er ist ein spiritueller Anker in einer getriebenen Welt.” Schon jetzt bleiben einige, die am Bach vorbei gehen, neugierig davor stehen. “Andachtsraum Franziskus und Klara” steht auf einem Schild. Diese zwei Heiligen mit ihrer starken Verbindung zur Natur – Erde, Wasser, Feuer, Luft – passen gut zu diesem Ort. Am elften September wird der Andachtsraum eröffnet. Dann kann jeder hier für sich seine Mitte finden und bis zu zwanzig Menschen gemeinsam beten, feiern oder trauern. Am 1. Mai wird es hier eine Maiandacht geben, jede Woche um 15 Uhr wird Rosenkranz gebeten. Das hätte dem verstorbenen Papst Franziskus, einem großen Verehrer der Muttergottes, der seine Lieblingskirche, die Basilika Santa Maria Maggiore in Rom zu seiner letzte Ruhestätte erkoren hat, sicher gefallen.