Die Ausstellung „Atemzonen“ im Linzer Lentos ist schon vorbei. Das vielschichtige Werk von Haus-Rucker-Co hat immer Saison. Es ist erfrischend, kritisch und immer noch brandaktuel. Die Ausstellung „Atemnot“ im Linzer Lentos ist schon vorbei, aber zu gut, um sie nicht hier mit einer posthumen Rezension zu würdigen.
Da ragt er also tollkühn in das Foyer des Lentos Kunstmuseum in Linz: Der Ballon für zwei, eine aufblasbare, kugelrunde pneumatische Blase, die von Haus-Rucker-Co anno 1967 an einem fahrbaren Stahlgerüst aus einem Fensterbrett im ersten Stock eines Zinshauses über die Apollo-Gasse in Wien Neubau geschoben wurde. Es war schon schwierig genug, den leeren Ballon im Lentos zu installieren, damals bildeten vier Freunde das Gegengewicht für die beiden, die im Ballon saßen. „Als einer der vier aufstehen wollte, um sich einen Kaffee zu holen, musst sich der sofort wieder setzen“, erzählt Günter Zamp Kelp gut gelaunt.


Die Architekten Laurids Ortner, Günter Zamp Kelp und der Maler Klaus Pinter gründeten 1967 die Haus-Rucker-Co, 1971 kam Manfred Ortner dazu. Sie wollten nicht in konventionellen Architekturbüros arbeiten, sondern im verzopften, staubigen, grauen Wien der Nachkriegszeit die Raumwahrnehmung zu verändern. Die Gruppe finanzierte sich selbst. „Pneus waren äußerst günstig, leicht herzustellen und dafür sehr gut geeignet.
Exponiert in zehn Meter Höhe in einer durchsichtigen, leicht schwankenden Plastikblase über der Straße zu sitzen, löstGefühle zwischen Euphorie und Panik aus. Emotionen und das Ausloten von Grenzen sind bei Haus-Rucker-Co ein großes Thema. Sie zählen zu den wichtigsten Avantgarde-Gruppierungen der Nachkriegszeit. Ihr Werk osziliiert zwischen Architektur und Kunst, befasst sich mit Raum, Wahrnehmung, Kommunikation, Klima und scheint immer noch oder wieder hochaktuell. „Werke von Haus-Rucker-Co werden laufend für Ausstellungen im Ausland ausgeliehen“, freut sich Lentos-Direktorin Hemma Schmutz.

Im Jahr 2020 kaufte die Stadt Linz das umfangreiche Archiv von Günter Zamp Kelp an, das insgesamt 537 Werke der Haus-Rucker aus allen Werkphasen umfasst. Mit berechtigtem Stolz präsentiert das Lentos in der Ausstellung „Atemzonen“ rund hundert Exponate aus diesem Vorlass. „Atemzonen thematisiert die Anwesenheit des Elements Luft thematisiert, die eine essenzielle Voraussetzung für terrestrisches Leben ist“, so Zamp Kelp. „Dieses Gasgemisch ist bekanntlich unsichtbar und wird uns immer erst dann bewusst, wenn es schlecht riecht, es unerträglich heiß oder kalt wird oder uns den Atem verschlägt. Dann rufen wir nach Klimakontrolle, nach wohltemperierten Environments, die unser Überleben garantieren.“ Luft ist auch das maßgebliche Baumaterial der Pneus, die erst, wenn sie aufgepumpt sind, Raum bilden. Dieser verschwindet, sobald man die Luft auslässt.
Die erfolgreichste Haus-Rucker-Co Ausstellung mit der weitesten, internationalen Resonanz war „COVER. Überleben in verschmutzter Umwelt“ 1971 im Museum Haus Lange in Krefeld. Haus-Rucker-Co siedelten dieses ursprünglich von Mies van der Rohe als Einfamilienhaus errichtete Gebäude in einer dystopischen Zukunft an mit toxischem Klima an. Sie stülpten eine luftgetragene Kunststoffhülle um das Haus, in der Menschen noch atmen konnten. In dieser künstlichen Umgebung blühten im Winter die Rosen im Garten. Zu dieser Zeit entwickelten Haus-Rucker-Co auch Lufttankstellen, in eine, die im Lentos von der Decke baumelt, kann man seinen Kopf stecken, um Luft zu tanken. Auch toxisches Rheinwasser wird thematisiert.

Lentos-Direktorin Hemma Schmutz kuratierte die Ausstellung in enger Zusammenarbeit mit Günter Zamp Kelp, der sie sehr leichtfüßig gestaltete. Von der Decke hängende, leicht schwebende transluzente Screens fungieren als luftige und doch sehr präzise Raumteiler zwischen den sechs Bereichen, die mit thematisch passenden Grafiken, Zeichnungen und Fotos der Haus-Rucker-Co bedruckt sind.
Der Ballon für zwei ist im Bereich „Progressives Wohnen“ zu finden, wo auch der Pneumacosm ausgestellt ist: Die Vision einer Stadt der Zukunft, deren Wohnkugeln aus verschweißten Polyethylensegmenten einen Durchmesser von 10 – 15 Meter haben und für zehn bis 15 Menschen gedacht waren. Wie Glühbirnen fertig produziert konnte man sie an der vertikalen, tragenden Stadtstruktur anbringen. Dieses Konzept erinnert an die „Walking Cities“ von Archigram, es liegt im Trend von Mondlandungseuphorie und Popkultur. Die drei späteren Haus-Rucker entwarfen es vor ihrer Gründung gemeinsam mit Helmut Grasberger und Manfred Ortner. Zeitgleich entwickelten Laurids Ortner, Angela Hareiter, Edith Ortner, Herbert Schweiger und Klaus Pinter den „Mind-Expander“, eine „Kommunikations-Plastik“ mit Sitzschale, auf der zwei Menschen fixiert saßen, die gemeinsam eine große Apparatur über die Köpfe gestülpt hatten. Haus-Rucker-Co bildet die Symbiose dieser Ansätze.

Der Ballon für zwei war ihre erste Aktion und katapultierte sie schlagartig an die Öffentlichkeit. Er wurde stündlich aus dem Fenster gefahren und mit einer Pumpe aufgeblasen. Man konnte zusehen, wie er sich rund um die beiden Sitzenden im Inneren langsam mit Luft füllte und – sobald diese den Reißverschluss im Pneu öffneten – wieder schrumpfte. Fotos von dieser Mutation sind in der Ausstellung im Bereich „Progressives Wohnen“ zu sehen. Dort ist auch der „Wohnraum im Raum“ aufgebaut: dieser aufgeblasene, quaderförmige Pneu mit Reißverschluss ist noch ein Original der 1970er Jahre. Zwei Sitzpölster sind drinnen. Es war dafür gedacht, die eigenen vier Wände in dieser durchsichtigen PVC-Hülle anders zu erleben. „Man kann im eigenen Haus auf Urlaub gehen und es als völlig ungewohnte Umgebung erleben“, sagt Zamp Kelp. Eine Erfahrung, die man immer wieder in einem anderen Raum in einer anderen Körperhaltung neu machen konnte. Aus heutiger Sicht vielleicht eine mögliche Alternative zu CO2-Verschlingenden Fernreisen.

Haus-Rucker-Co setzten in ihrer Arbeit sehr stark auf das Erleben, all ihre Aktionen versuchen, das menschliche Wahrnehmungsspektrum zu erweitern – und dabei möglichst viele Sinne anzusprechen. Ihr längst ikonisches „Gelbes Herz“ war ein pulsierender Raum mit psychedelischer Musikbeschallung, in einem Video sieht und hört man den jungen Zamp Kelp mit einer sehr hübschen jungen Frau („ah ja, die Katharina!“) gemeinsam aus diesem runden, weichen Raum in die Sonne schauen. „Es schwankte leicht, vergößerte und verkleinerte sich wie beim Atmen und führte zu einer meditativen Zweisamkeit mit kommunikativer Absicht“, erinnert sich Zamp Kelp. Nachgeborenen erscheint die psychedelische Musik mehr als gewöhnungsbedürftig und alles andere als meditativ.
„Wir haben in die Zukunft gedacht und wie wir den Typus Architektur weiterentwickeln können“, sagt Günter Zamp Kelp. „Wir sahen unsere Zukunft sehr positiv.“ Das spiegelt sich in der „Vanilla“ – Phase wieder, deren populärer Höhepunkt 1970 die Ausstellung „LIVE“ mit der Installation des Riesenbillard im Museum moderner Kunst bildete. Es machte den Tempel der Kunst zur Spielwiese für alle Besuchenden. Im Jahr 2007 war das ein Meter hohe, aufblasbare Riesenbillard mit den riesigen Ballkugeln und 15 x 15 Meter im Lentos re-installiert, 2021 wurde es im Wiener MUMOK zur Sensation. Es waren weit mehr Springwillige da als behördlich zugelassen. Die Warteschlange war gut gelaunt. Der Spirit von Haus-Rucker-Co wirkt noch immer!
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