Auf lateinisch klingt die Schwelle viel besser: „limen“, auch Übergang. Räumlich ein diffuser Zwischenort, zeitlich ein Zustand der Transformation im Niemandsland zwischen dem Eindeutigen. Im PORTIER, den Schuberth & Schuberth Architekten als Kunstraum bespielen, spürt die Ausstellung „Liminal Spaces“ dem Fluidum des Dazwischen nach.
Der Ort ist fast perfekt, denn bevor er zum Kunstraum wurde, war der PORTIER einige Jahrzehnte lang die Portierswohnung des schönen Gründerzeithauses, in dem ein paar Stockwerke höher das Architekturbüro der Geschwister Schuberth & Schuberth ist. Sie liegt an einem Abzweiger des repräsentativen Entrées, mit Zugang auf den Hof, wo früher Wäsche hing.

Die erste Installation, die einen empfängt, wirkt so beiläufig alltäglich, dass man sie fast übersehen könnte: es ist ein Geschenkkorb unter Zellophan neben einem Blumenstrauß auf einem runden Mahagonytisch mit Häkeldeckchen. Einzig der Inhalt macht etwas stutzig: Ildefonso, Pringles, Mannerschnitten, Milka, Mozartkugeln, Pfirsichlikör. Er gemahnt an eine bescheidenere Vergangenheit, als diese Dinge noch einen Hauch von Luxus in sich trugen. Ein kleines, verblichenes Foto zeigt denselben Korb, dieselben Blumen, denselben Tisch – und eine Frau, die frisch Beschenkte. Auch eine kleine Transformation, die größere lautert hinter ihrer Identität: es ist Getrude Flieder, die Hausmeisterin, die von 1965 bis zu ihrem Tod im Jahr 2008 hier wohnte und für jeden Mieter und jede Mieterin stets offene Ohren hatte. Beim Weggehen werden Aufmerksame auf einem Fensterbrett am Gang ein ähnlich verblichenes Foto bemerken: es zeigt eine Katze beim Sprung von ebendiesem Fenster. „Whiskey“, der Stubentiger der Hausmeisterfamilie. Ein Beruf, den es nicht mehr gibt. Er wurde wegrationalisiert. Von Unternehmen verwaltete Putzkräfte setzen statt dessen nun kostengünstig regelmäßig Häkchen auf Listen. Gang gekehrt, Stiegenhaus geputzt. Auch eine Transformation.


Der silberschillernd gestrichene liminale Schaukasten, ein Holzobjekt mit rätselhaftem roten Knopf weckt Neugier und zieht das Interesse von den zweidimensionalen Filmstills an der Wand dahinter eindeutig ab. Eine nähere Bekanntschaft lohnt und hält eine Wahrnehmungserfahrung bereit, die man diesem Objekt nicht zugetraut hätte. Der Birkensperrholzparavent auf hohen Stelzenbeinen fungiert als Black Box einer Kunst der anderen Art. Von unten kann man mit dem Kopf in diese Wunderkammer eintauchen, die ab Schulterhöhe ein Zwischenreich schafft. Auf Knopfdruck lässt sich hier eine Wahrnehmungserfahrung von psychedelisch-klaustrophobischer Qualität generieren. Und das ganz ohne bewußtseinerweiternder Substanzen. Spiegel, Licht und Sonnenbrille genügen. Ievgenii Kalinovych, ein Mitarbeiter von Schuberth & Schuberth baute und konstruierte diesen Apparat. Sympathisch analog, überraschend effektvoll. Dahinter spielen Filmstills und Fotos mit den Übergängen der Daseinszuständen von Orten und Menschen. Sie zeigen oft Räume, die es heute nicht mehr gibt, halten aus einem ganzen Filmstreifen einen einzigen gefrorenen Moment fest. Auch eine Transformation.
Übergangsriten und Räume
„limen“, dieses schöne lateinische Wort für Schwelle wurde in der Ethnologie für die Beschreibung von Übergangsriten wie einer Hochzeit, einer Initiation, dem Erwachsenwerden verwendet, erklärt Gregor Schuberth in seiner Eröffnungrede, die auch in gedruckter Form mehrfach aufliegt. Der französische Ethnologe Arnold van Gennep unterschied drei Phasen: Ablösung, Übergang, Ankunft. Ihr bauliches Pendant findet sich im Dazwischen zweier definierter Räume: der Durchgang ins Haus, der Flur zur Türschwelle, über die man die Portierswohnung betritt, der Vorhang zum Freiluftkino im Hof.

In der Küche der ehemaligen Portierswohnung treffen die organgebraune Wand und der orangebraune Boden auf die blitzblaue Farbe, mit der die vormals weißen Fliesen nun überzogen sind. Nicht geradlinig, sondern mit einer schrägen Kante, die ein weißes Stück Decke und Wand offen lässt. Hier wechselt das Medium des Fotos, der Filmstills und Plastilinbilder – auch temperaturabhängig liminal entweder steinhart, fest, weich oder fließend – langsam zur Hörstation: Lisa Kröll liest Passagen aus Heimito von Doderers Strudelhofstiege ein. Letztere zelebriert den Wechsel der urbanen Schichtenlinien zwischen zwei unterschiedlichen Ebenen in einer Stadt wie selten eine andere Freitreppe in Wien. Liminale Grenze ist für diese luxuriöse, mehr- und gegenäufige Stiege fast zu viel oder zu wenig gesagt: ist sie doch nicht nur ein Ort des Transits, sondern auch einer des Aufeinandertreffens, Aufenthalts und des Verweilens.

Das Schöne an diesen „liminal spaces“ ist genau das, was sie ausmacht: ihre Vielfalt unterschiedlicher, deutungsoffener Exponate. Kino per se ist ein Ort des Übergangs von der Wirklichkeit in eine andere Realität, in der jede Filmprojektion für die Dauer ihrer Laufzeit eine neue Welt entwirft, die im einzelnen und auch im Publikumskollektiv wieder ihre Spuren hinterlässt. Die hier gezeigten Filmstills tragen ihre Verlorenheit schon im Titel: Lost Highway von David Lynch, Lost in Translation von Sophia Coppola, dazu Fotos von Orten in Transformation.

Einige wertvolle Raritäten sind zu entdecken: Das Privatarchiv Spiluttini stellte zwei Aufnahmen der Grande Dame der Architektufotografie, Margherita Spiluttini zur Verfügung. Eines hält das Schwimmbad im Südbahnhotel am Semmering in einer Phase des Verfalls fest, die noch besonders malerisch und farbstark war. Das zweite Foto zeigt einen sehr repräsentativen, rostrot-goldenen Raum mit Spiegeln und Kristallustern im verhaltenen Glamour der Nachkriegszeit des ehemaligen Messepalastes, bevor er zum Museumsquartier wurde. Die Spuren dieses Raumes sind nur noch auf Fotografien und in der Erinnerung von Zeitzeugen und -zeuginnen vorhanden. Auch Christoph Panzer dokumentierte das Rechenzentrum der Stadt Wien, den „Glaspalast“ von Harry Glück noch kurz vor dem Abriss. 2014 war das, nun steht dort die BUWOG-Zentrale von Schuberth & Schuberth mit dem wohl einzig schwarz-weißem Billa-Schild Wiens.

Als die Hausmeister nach dem Krieg einzogen, stand das Klo noch in einer Hütte aus Wellblech im Hof. Dort dienen nun aufgehängte Leintücher als Projektionsfläche für den Stummfilm „Das Kabinett des Dr. Caligari“. Freiluftkino im Winter, die Temperaturen zwingen alle, die nicht hartgesotten oder vollkommen alkoholisiert sind (ersteres sind am Vernissagenabend alle, zweiteres keine und keiner), den Film äußerst liminal zu erleben. Die Betrachtungszeit nivelliert jede Szene zu einer Zwischensequenz. Das frühere Klo der Familie dient heute den Kunstgenießenden, auch Boiler und Waschbecken gibt es noch und die Zwischendecke, die der Vater einzogen hat. Edeltrud Hargitai, die Tochter von Gertrude Flieder freut sich sehr darüber, dass ihr ehemaliges Heim nun der Kunst dient.

Die letzte Installation im ehemaligen Kinderzimmer passt zur vormaligen Nutzung: es ist ein nachgebauter Kindergeburtstag mit einer riesigen, braunen Schokotorte hinter einem transluzenten Vorhang. Victoria Pichler, eine weitere Mitarbeiterin von Schuberth & Schuberth fertigte sie aus Moosgummi und Filz. Bei der Rezensentin weckt sie Assoziationen an Steven King, wobei erstere bekennen muß, sich an keinen einzigen unbeschwerten Kindergeburtstag erinnern zu können. Immer schwelte der Konflikt in der Luft und hing der Familiensegen schief. Womit wir bei einem ganz wesentlichen Punkt der „liminal spaces“ wären: ihre Wahrnehmung hat immer mit der Person zu tun, die diesen Schwellenraum durchschreitet.
„Liminal spaces“ Do. 15:00 bis 18:00 oder gg. Anmeldung PORTIER Gumpendorferstraße 10-12/1, 1060 Wien.. Bis 17. April