Victor Gruen hat nicht nur das amerikanische Shopping Center erfunden und daraus die Shopping-Mall entwickelt. Er erkannte zunehmend auch die Nachteile des Bautyps. Zurück in Österreich, baute er sich das „Bergholzgut“ in der Prein zu seinem Refugium an der Rax um und aus. Eine Entdeckung.
„Shopping macht happy“: mit diesem Slogan wurde 1976 die Shopping City Süd in Vösendorf eröffnet und in einen amerikanischen Kontext gestellt. Das erste Einkaufszentrum Österreichs versprach ein Shoppingerlebnis, das ein wenig vom „american way of life“ für Wiener und Wienerinnen in greifbare Nähe rückte: nach Vösendorf.

Es dauerte Jahrzehnte, bis man auch in Österreich wußte, dass der Erfinder des Shopping Center ein Wiener war. Victor Gruen wurde als Viktor Grünbaum 1903 in Wien geboren. Er wuchs in einer bürgerlichen Familie im Ersten Bezirk auf und bezeichnete seine Kindheit in seiner Autobiographie bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs als ungetrübt glücklich. Die Sommer verbrachte er unbeschwert bei der mütterlichen Familie in Norddeutschland, erst während des Krieges wählten die Eltern nähere Urlaubsziele wie Seewalchen am Attersee, oder Edlach an der Rax.
Nach dem Krieg arbeitete Grünbaum bei einer Baufirma, studierte nebenbei Architektur und war im „Politischen Kabarett“ aktiv. Sein Freund und Weggefährte Friedrich Scheu bezeichnete Grünbaum als „den Geist und die Seele“ dieser Truppe, die sich aus dem Kreis der sozialistischen Mittelschülerbewegung herausgebildet hatte. „Eine charakteristische Eigenschaft Viktor Grünbaums war seine Fähigkeit, einmal gefasste Pläne in die Praxis umzusetzen. Das kam ihm nicht nur beim Kabarett zugute, sondern auch später in der Emigration in Amerika“, schrieb Scheu 1977. Das (links-)politische Engagement eines Intellektuellen jüdischer Herkunft führte in den 1930er-Jahren zur Vertreibung. Viktor Grünbaum wurde nach der Machtergreifung der Nazis umgehend verfolgt. Gemeinsam mit seiner Frau Alice Kardos vulgo Lizzie, gelang ihm 1938 im letzten Moment die Flucht in die USA.

Unter dem Namen „Gruenbaum and Krummeck Designer“ konnten Grünbaum und seine zweite Frau Elsie Krummeck mit Geschäftsumbauten in New York Fuß fassen, für weitere Aufträge übersiedelten sie nach Los Angeles. Ab seiner Einbürgerung 1943 nannte er sich Victor Gruen. Nachdem er die erforderliche Lizenz erlangt hatte, nannte er das Büro 1948 in Victor Gruen Architect AIA um. Es entwickelte sich zu einem der größten Architekturbüros in den USA. Sein Talent bestand darin, vernetzt zu denken und „das große Ganze“, das stets mehr als die Summe seiner Einzelteile ist, realisieren zu wollen. Gruen verstand ein Geschäft nicht nur als Verkaufsraum, sondern als integralen Bestandteil eines urbanen Gefüges. Dieses müsse – wenn nicht wie in historisch gewachsenen Städten schon vorhanden – neu kreiert werden. Ein Department Store sollte im größeren Kontext gedacht werden, das Wichtigste wäre dabei die Fußläufigkeit ohne störenden Autoverkehr. Inwiefern diese Gedanken allein die seinen oder auch jene von Elsie Krummeck waren weiß man nicht. Diese war mit zunehmendem Erfolg aus dem Firmennamen verschwunden, zur selben Zeit wurde auch die Ehe geschieden.


Gruens Idee eines Shopping Centers am Stadtrand wurde 1954 erstmals in Detroit realisiert. Das dortige Northland Center war eine städtebauliche Anlage aus einzelnen Baukörpern mit begrünten Atrien, die von riesigen Parkplatzflächen umgeben waren. Das Shopping Center sollte den Bewohner*innen der Suburbs, die sich im Amerika der Nachkriegszeit immer weiter ins Umland ausdehnten, auch als Ort sozialen und kulturellen Austauschs dienen. Gruen entwickelte die Idee zum komplett geschlossenen Bauwerk weiter und „erfand“ so die Shopping Mall. Das Southdale Center in Minneapolis war 1954 das erste seiner Art. Gruens Architekturbüro blieb auf Erfolgskurs, viele Aufträge folgten. Mit der Zeit aber erkannte er die Probleme der Malls wie den steigenden Individualverkehr und wurde zum Kritker des Bautyps, den er erfunden hatte. Gruen dachte „grün“ um, wollte die Stadtkerne stärken und propagierte ein „echtes“ urbanes Erlebnis für die Bevölkerung. Seine städtebauliche Beratung war weltweit gefragt.
1960 kehrte er mit seiner dritten Frau Lazette van Houten nach Wien zurück – was nur wenige vertriebene Juden freiwillig taten. Victor Gruen dürfte sentimental gewesen sein, er schätzte die Fußläufigkeit einer Stadt wie Wien und sehnte sich nach der Sommerfrische seiner Jugend. Ab 1961 bezogen er und seine Frau eine Wohnung am Schwarzenbergplatz, 1969 erwarb er unweit von Edlach in Prein an der Rax eine Liegenschaft mit einem Haupthaus und zwei Nebengebäuden. Sie lag eingebettet in die Wiesen und Wälder des Semmerings. Victor Gruen schreibt in seiner Autobiographie, es hätte ihn immer mehr interessiert, ein bestehendes Gebäude zu sanieren und bewohnbar zu machen, als für sich selbst neu zu planen. Er und seine vierte Frau Kemija hätten das „Bergholzgut“, das lange leer gestanden war, in ein kleines Paradies verwandelt. Wenn man die Fotos aus den 1970er Jahren betrachtet, scheint das nicht übertrieben. An diesem Ort hätte er seine Wunschvorstellung einer umweltgerechten Planung verwirklichen können.

Am Lageplan wird das evident. Das Herrenhaus im Landhausstil der Jahrhundertwende bleibt fast unverändert, Gruen setzt es jedoch in einen städtebaulichen Kontext. Die einzelnen Gebäude werden an drei Seiten durch einen an der Außenseite geschlossenen Laubengang verbunden, sodaß ein begrünter Hof entsteht. Durch die Hanglage und die Art der Bepflanzung wirkt dieser wie ein Landschaftsgarten. Links neben dem Haupthaus erweitert sich der Laubengang zu einer nordwestseitig verglasten Veranda mit offenem Kamin, wo man vor Westwind und Wetter geschützt den prachtvollen Blick zur Rax genießen kann.
Der Gang führt direkt auf ein Blockhaus aus Holz zu, das architektonisch unverändert zum „Malatelier“ umgewidmet wird. Er setzt sich mit einem Knick fort, über zehn Stufen, zu dem auf höherem Niveau liegenden dritten Gebäude mit Einliegerwohnung. Durch den Landschaftsgarten kann man zurück zum Haupthaus schlendern. An dieses baute man einen kantigen Baukörper mit Dachterrasse an, der wie eine Veranda mit großen Gläsern umgeben ist. Er behaust ein eigenes Schwimmbad, das ein wenig „american way of life“ in die Voralpen bringen sollte.

Es ist faszinierend zu sehen, mit welcher Leichtigkeit Gruen unaufgeregte bauliche Maßnahmen setzt, um eine stimmige städtebauliche Einheit herzustellen. Durch den planerischen Kunstgriff des Laubengangs fasst er die zuvor losen Baukörper unterschiedlicher Typologien zusammen und schafft einen geschützten, aber auch dynamischen Ort – einen sozialen Raum. „Communication“ nannte man im 19. Jahrhundert diese Art des Wandelgangs, als das kultivierte Flanieren unter Dach und ohne Konsumzwang noch üblich war. In Kurorten fand man diese Wandelgänge oft. Familie und Freunde kamen gerne ins „kleine Paradies“ mit Schwimmteich, wo Victor Gruen nicht architektonisch auftrumpfen wollte, sondern seine persönliche Note in der Gartengestaltung und Art der Bepflanzung zum Ausdruck brachte.
Als er Anfang der 1970er-Jahre eingeladen wurde, bei der Konzeption der erwähnten Shopping City Süd beratend zur Seite zu stehen, warnte er – vergeblich – vor den Auswirkungen eines „Konsumtempels“ vor den Toren der Stadt. Gleichzeitig erarbeitete er forscherische Grundlagen zum „Stadtkern Wien“ für die geplante Fußgängerzone in der Innenstadt. Es ist bekannt, dass Victor Gruen in seiner letzten Lebensphase all sein Wissen und seine planerische Intention in Studien zur Umweltplanung und zum Umweltschutz einbrachte. Dass sein Name auch in eigener Sache zum Programm geworden war und er sich mit seiner Familie ein „Gruenes Paradies“ schuf, weiß fast niemand. „Living macht happy“ war wohl eher sein Leitspruch. Im Bergholzgut in Prein an der Rax machte er ihn wahr.

Literatur:
Anette Baldauf (Hg.), Victor Gruen, Shopping Town – Designing the City in Suburban America, Minneapolis (U of M Press) 2017. Victor Gruen, Das Überleben der Städte, Wien (Molden) 1973. Friedrich Scheu, Humor als Waffe – Politisches Kabarett in der Ersten Republik, Wien (Europa Verlag) 1977.