Alles, was tschechisch war, selbst ein Plattenbau aus lausigen Betonfertigteilen der kommunistischen Ära, versetzte sie in Verzückung, auch sonst war ihre Begeisterung für Kunst, Architektur und das Schöne so überbordend wie aufrichtig. Iris Meder (1965 – 2018) war eine außergewöhnlich leidenschaftliche Journalistin und Person. Eine posthume Hommage.
Ein veilchenblauer Seidenschal um die Schulter, ein Armband, das nach Chanel aussah, flache Schuhe, ein knielanger Rock, zitronengelb: Iris Meder war die Audrey Hebpurn unter den österreichischen Architekturjournalistinnen. Das ist natürlich bei weitem nicht alles und trotzdem hervorzuheben, weil ihr Stil so sehr mit ihr verwoben war, dass man ihn als Bestandteil der Person bezeichnen muss. Iris machte immer den Eindruck, in Haute Couture zu wandeln. „Das habe ich ganz billig auf dem Flohmarkt bekommen“, oder: „Das ist vom H&M.“ Man muss es sagen: Iris war ein Sparefroh, nichts freute sie mehr, als ein Schnäppchen bekommen zu haben.
Statue von Tomás Masaryk, dem ersten Staatspräsidenten der Tschechoslowakei vor einer typischen Plattebausiedlung. Foto: Isabella Marboe
Sie brannte für alles, was sie liebte. Schöne Dinge – Architektur, Kunst, Design. Deshalb war Stil weit mehr als Stil, er war das Bekenntnis zu einer Lebenshaltung, die durch und durch kultiviert ist. Iris war ein wandelndes Lexikon, sie wusste natürlich, wer, was, wo gebaut und wer wo von wem welche Ideen geklaut hatte. Das ist meiner Meinung nach eine typisch kunsthistorische Betrachtungsweise: ich glaube, dass gewisse Dinge zu einer bestimmten Zeit einfach in der Luft liegen und von mehreren unabhängig voneinander aufgegriffen werden. Und kein Architekt von Rang von einem anderen Grundrisse kopiert. Kurz: ich bin eine Verfechterin der These von der ortsangemessenen spezifischen Lösung, Iris war eine Verfechterin der These vom gekonnten Klonen.
Iris kam aus Stuttgart, von der Kunstgeschichte, Literatur und von Thomas Mann. Mit ihrer 2001 an der Universität Stuttgart approbierten Dissertation „Offene Welten – die Wiener Schule im Einfamilienhausbau 1910 – 1938“ begann ihre Wiener Existenz. Iris Meder befasste sich mit Otto Wagner und seinen Schülern, mit José Plecnik, Victor Kovacic, Jan Kotera, Pavel Janak, Rudolf M. Schindler. Sie beschäftigte sich mit jüdischen Architekten der Moderne, die emigrieren mussten, Josef Frank, Oskar Wlach, Oskar Strnad, dem Lehrer von Margarethe Schütte Lihotzky, dem unbekannten Loos, Walter und vielen mehr. Sie interessierte sich dabei besonders für private und berufliche Beziehungsgeflechte, Netzwerke, Freund- und Feindschaften, zwischen Kollegen, zu Bauherrschaften. Iris Meder interessierte sich natürlich für Bauten, mindestens aber ebenso sehr die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie enstanden waren. Sie fokussierte dabei besonders auf das mitteleuropäische, gebildete und vermögende jüdische Bürgertum aus Intellektuellen, Unternehmern und Industriellen, ohne die moderne Architektur vielfach ungebaut bliebe.
Restaurant im Fernsehturm Jested von Architekt Karel Hubacek, seit 1973 ein ikonisches Bauwerk auf 1012 Meter Seehöhe. Foto: Isabella Marboe
Iris war von fast allem, was tschechisch, slowakisch, slowenisch, kroatisch, kurz ex-jugoslawisch und ex-kommunistisch war, in den Zustand der Verzücktheit zu versetzen. Sie besaß eine mehr als nur profunde Kenntnis der Moderne jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs. Im Buch „Lifting the curtain“ , das sie gemeinsam mit Azra Charbonnier, Suzanne Krizenezky und Gabriele Ruff herausgegeben hatte, spürte sie Netzwerken zwischen Architekturschaffenden in Mitteleuropa auf, die Werkreisen, die sie gemeinsam mit Christian Mitterer von der Salzburger Werkschau unter dem Motto „Knödel und Kubismus“ nach Böhmen, Mähren, sowie „Beton und Becherovka“ nach Ex-Jugoslawien kuratierte und organisierte sind legendär. Ebenso das dortige Schrittempo auf der Jagd nach sehenswerten Bauten und das notorisch überfrachtete Programm. Iris Meder konnte Wohnblöcken aus der kommunistischen Ära, die messerscharf an der Banalität vorbeischrammten, stundenlang hinterherreisen und ihnen noch Reize abgewinnen. Beton – Becherovka und Tonic – zählte neben einem gepflegten Aperol Sprizz zu ihren Lieblingsgestränken.
Prachtexemplar des tschechischen Kubismus: Villa von Jan Drechsel, Architekt Pvel Janák, Pelhrimov Foto: Isabella Marboe
Iris war ein wandelndes Lexikon, sie hatte eine schier unendliche Zahl an Anekdoten von exzentrischen Bauherren, unglücklichen Liebschaften, dekadenten Architekten im Repertoire, von denen man nicht genau wusste, ob sie stimmten oder nicht. Unterhaltsam waren sie auf jeden Fall.
Regelmäßig legte sie als DJane im Wiener WUK romantische Schnulzen tschechischer Provenienz à la Jacques Brel auf, Iris schrieb für das Spectrum in der Presse, rettete mit ihren Gutachten für das Bundesdenkmalamt so manche moderne Pretiose, gestaltete als Vorstandsmitglied der ögfa – Österreichischen Gesellschaft für Architektur deren Programme mit, kuratierte Ausstellungen und schrieb mehrere Bücher. Eines über Josef Frank – eine Moderne der Unordnung, eines über das bahnbrechende Hochhaus in der Herrengasse von Theiss/Jaksch – „Haus Hoch“, gemeinsam mit Judith Eiblmayer – und das Buch „Badefreuden.“
Ihre Schwester Angela Meder hat uns freundlicherweise einige Exemplare dieses wunderbaren Reiseführers zu den schönsten Bädern Mitteleuropas zur Verfügung gestellt. Wir können sie nun an unsere ersten Abonnenten und Abonnentinnen vergeben. In memoriam Iris Meder. Danke, Iris.