Sakraler Sichtbeton von Fritz Wotruba in Wien-Mauer Die Ausstellung „Wotruba.Himmelwärts – Die Kirche auf dem Georgenberg“ im Belvedere 21 widmet sich einem bis heute einzigartigen Sakralbau und seiner ungewöhnlichen Entstehungsgeschichte.
Die Wotrubakirche auf dem Georgenberg in Wien-Mauer ist einzigartig, ihre Genesis zog sich über 13 Jahre hin. Am 24. Oktober vor 45 Jahren wurde sie eingeweiht. Der raue Sakralbau wirkt wie eine archaische Kultstätte für einen unbekannten Gott. Er ist ein Zwitterwesen aus Architektur und Skulptur. Vielleicht rührt gerade aus dieser Unbestimmtheit seine singuläre Bedeutung. Die Rektoratskirche „Zur Heiligsten Dreifaltigkeit“ zählt zu den meistrezipierten Werken österreichischer Nachkriegskunst. Das Belvedere 21 widmet ihr die Ausstellung „Wotruba. Himmelwärts – Die Kirche auf dem Georgenberg“. Mehrere faszinierende Tonmodelle, Skizzen und Pläne machen den Formfindungsprozeß des Bildhauers Fritz Wotruba und seine Zusammenarbeit mit dem Architekten Fritz Gerhard Mayr nachvollziehbar. Schwarz-weiß Fotos dokumentieren die Baustelle, ebenso offenbart die Realisierung dieser Kirche ein Stück Nachkriegsgeschichte.
Entführung
Am Beginn steht ein spektakulärer Fall: Am 5. November 1948 wurde die junge Spitzenbeamtin Margarethe Ottillinger auf der Ennsbrücke wegen Spionageverdachts von den Sowjets entführt und zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Staatsvertrag sei Dank durfte sie 1955 nach sieben Jahren Gefangenschaft komplett entkräftet nach Österreich zurück. Im Lager hatte die zutiefst gläubige Frau das Gelübde abgelegt, eine Kirche zu errichten, falls sie frei käme. Sie machte Karriere bei der OMV, als Karmelitinnen aus Wien-Oberbaumgarten mit dem Bauvorhaben eines neuen Karmels an sie herantraten, war sie sofort Feuer und Flamme. Kardinal Franz König stellte erzbischöflichen Baugrund in Steinbach zur Verfügung, Prälat Leopold Unger empfahl Fritz Wotruba, der tatsächlich unentgeltlich ein Modell des Dreifaltigkeitskarmels anfertigte.
Als man 1968 „Fritz Wotruba. Projekt eines Karmels“ in Signore Otto Mauers der Galerie nächst St. Stephan zeigte, regte sich in Kirche und Architektenschaft heftiger Widerstand. Das Projekt starb, der Grund fiel an die Erzdiözese zurück, die Schwestern zogen in ein Kloster nach Graz. Doch die Erzdiözese Wien blieb bei der Idee, sie beschloss, die Kirche als Pfarrkirche zu verwirklichen. Der Bauplatz am Georgenberg gefiel Wotruba, die erhöhte Lage erinnert an Wallfahrtsorte, ein leichter Anstieg und eine gewisse Erhabenheit gehört sich für eine anständige Kirche. Sie gewinnt dadurch an Wirkung, der kurze Aufstieg stimmt Gläubige auf den sakralen Ort sein. Dass daneben eine Schule entstehen sollte, verkomplizierte die Sache, am 24. Juli 1974 erfolgte endlich die Baubewilligung.
135 Kuben und Stelen
Fritz Wotruba, eine charismatische Künstlerpersönlichkeit und Bildhauer europäischen Formats griff bei diesem Entwurf auf den Typus des Grabmals, Adolf Loos, Josef Hoffmann und die klassische Moderne zurück. Er entwickelte den Baukörper genuin bildhauerisch als Skulptur aus 135 Kuben und Stelen, deren Proportion und Zusammenwirken er an maßstabslosen Modellen aus Ton überprüfte. Selbst seine Fingerabdrücke sind daran noch zu erkennen.
Diese Kultstätte suchte die unmittelbare Verbindung zum Himmel, Dach hatte sie keines. Architekt Fritz Gerhard Mayr war 36 Jahre alt, als Wotruba ihm anbot, gemeinsam die Kirche zu planen. „Die Zusammenarbeit war sehr lehrreich und parnterschaftlich. Wir hatten ein gutes Verhältnis zueinander“, erinnert sich Mayr. „Es war ein ständiges Prozess, ein gegenseitiges Geben und Nehmen.“ Wotruba hatte den Bau aus Stein konzipiert, er konnte aber nur aus Stahlbeton umgesetzt werden. „Wir haben die Blöcke vor Ort gegossen. Der Polier hat eigens einen Kurs für die Schalung gemacht.“ Ein Block ist etwa 15 Meter hoch, den Bau stützenlos nur aus Kuben und Stelen zu errichten, war eine Herausforderung. Von Themen wie der Verglasung ganz zu schweigen.
Quelle der Inspiration
„Die formale Genese der Kirche Zur Heiligsten Dreifaltigkeit ist nur aus dem bildhauerischen Werk Wotrubas heraus zu erklären“, so Gabriele Stöger-Spevak, Kuratorin dieser Ausstellung. Sie zeigt den Dialog zwischen Skulptur und Architektur auf, verortet die Kirche aber auch in ihrer Zeit und in der Gegenwart. Wotrubas Bau werden Werke von Le Corbusier, Günther Domenig und Künstlern wie Richard Serra gegenüber gestellt. Auch zeitgenössische Kunstschaffende setzen sich mit der Kirche auseinander. Aglaia Konrad drehte den Film „Wotruba Wien“, Evy Jokhova näherte sich der Architektur transzdisziplinär und Thomas Draschan drehte einen Experimentalfilm.
Dieser Artikel ist am 3. November 2021 in der Furche erschienen.