Der Stephansdom in Wien ist das spirituelle Herz Österreichs, Licht das ideale Medium für eine sakrale Atmosphäre. Die Beleuchtung im Dom muss viel mehr können. Der liturgische Jahreskreis erfordert unterschiedliche Stimmungen, der Priester braucht Helligkeit zum Lesen. Lichtplanerisch ist der Dom sehr komplex, podpod design lösten die Aufgabe bravouräs. Ihre Beleuchtungskörper sind kaum zu merken und lassen die Architektur ganz neu erleben.
Wien kann wachsen, wie es will, sein Zentrum ist seit Jahrhunderten gleich. Der Stephansdom ist eine verlässliche Konstante im Stadtbild, nationales Heiligtum und Dauerbaustelle. Die Handwerker und Handwerkerinnen der Dombauhütte sind ständig damit beschäftigt, den empfindlichen Sandstein der originalen Bausubtanz zu erhalten. Was lange währen will, braucht kontinuierliche Reparatur. 1147 wurde die erste romanische Stephanskirche geweiht, 1304 die gotische Chorhalle errichtet, 1433 der Südturm vollendet. Mit dem Nordturm begann man 1450, er blieb unvollendet. Seit 1469 ist Wien Bischofssitz. 1945 brannte der Dom, eine leichtere Stahlkonstruktion ersetzte den versengten Holzdachstuhl. Jedes der kriegsgebeutelten Bundesländer trug zum Wiederaufbau bei, auch Privatpersonen spendeten Ziegel für das Dach mit dem Wappen. Seit 26. April 1952 ist der Dom wieder das spirituelle Herz der Nation.
Gesamtkunstwerk und Dauerbaustelle
St. Stephan ist täglich von 06:00 bis 22:00 offen, an jedem Werktag gibt es sechs Messen, eine Andacht und einen Rosenkranz, Sonn- und Feiertage bringen es auf zehn Gottesdienste, inklusive Hochamt und Vesper. Der Dom ist spiritueller Ort und Touristenmagnet, außerdem ein denkmalgeschütztes Gesamtkunstwerk, das laufend restauriert und an moderne Bedürfnisse angepasst werden muss. Die Beleuchtung bestand aus einer Reihe von Kronlustern, die noch Maria Theresia dem Dom gespendet hatte. Die ursprünglichen Kerzen waren mit elektrischem Licht ersetzt worden, das mit LED-Birnen schrill strahlte, die Hängeleuchten erzeugten und einen hellen Horizont. Als Ebene aus Lichtpunkten schwebte er bodennah im hohen Raum, der darüber in dunklem Schwarz unterging.
Tagsüber strahlte die Sonne durch die bunten Glasfenster hinter dem Altar. „Morgens, mittags und abends herrschten sehr unterschiedliche Lichtverhältnisse“, erzählt Iris Podgorschek von podpod design, von Dombaumeister Wolfgang Zehetner damit beauftragt, ein neues Lichtkonzept für die Kathedrale zu erstellen. „Da kann man keine Standardleuchten verwenden. Es gab sehr große Kontraste, aber kein angenehmes Grundlicht, um beispielsweise in Gesangsbüchern lesen zu können. Außerdem nahm man den Raum nicht wahr. Die vielen Hängeleuchten schufen einen starken Horizont, sonst herrschte lichttechnisch ein Wildwuchs von unterschiedlichen, blendenden Lichtquellen.“
Der Dom ist 107,2 Meter lang, 34,2 Meter breit, das Mittelschiff des Langhauses 28 Meter hoch, die Seitenschiffe bringen es auf 22,4 Meter Höhe. „Das Wesentliche an der Gotik ist ihr Streben nach oben. Wir wollten diese Vertikalität betonen“, so podpod design. „Außerdem war uns ein Anliegen, dass man die Lichtquellen nicht sieht. In der Gotik brannten hier echte Kerzen: diese sanfte Atmosphäre wollten wir erzeugen. Daher war auch wichtig, die Gewölbe und Säulen aufzuhellen. Unser Lichtkonzept sollte nicht schreien, sondern berühren.“
„Das Wesentliche an der Gotik ist ihr Streben nach oben.“
podpod design entwickelten mit der Firma Schrutek kleine Strahler mit einem sehr engen Ausstrahlungswinkel von 3°, damit man das Licht präzise lenken kann. Jeder dieser Strahler braucht nur 4 Watt, erzielt aber viel Effekt in dem riesigen Raum. Mehrere dieser Strahler wurden in eigens entworfenen Penden in mehreren Segmenten übereinander angebracht, alle Strahlungswinkel so berechnet, dass die Statuen vor den Säulen, deren Konturen, ein Altar oder ein anderes sehenswertes Objekt im Dom wieder gut sichtbar werden. Jeder Strahler ist mit Abblendlamellen versehen, so dass man ihn nur sieht, wenn man direkt in seiner Achse steht. Auch formal harmonieren die Penden mit dem Dom: Jede ist ein Zylinder mit 12 cm Durchmesser und je nach Bestückung zwischen 90 cm und 220 cm lang. „Jede Pende wurde einzeln gezeichnet und gemessen. Unser Projektleiter Clemens Kellner mußte dann jeden Strahler per Hand entsprechend der Berechnung präzise eingerichten“, sagt Iris Podgorschek. „Wir haben die Farbe auf den Sandstein des Doms abgestimmt“, ergänzt ihr Bruder Michael. „Außerdem bauten wir ein Mock-Up der Pende, das der Dombaumeister abgenommen hat, bevor wir in die Produktion gegangen sind.“
In jedem Gewökbegeviert gibt es Löcher für die Luftzirkulation: podpod nutzten sie, um von dort die Penden abzuhängen. Insgesamt 29 gibt es, sie sind mit bis zu 19 Strahlern bestückt, hängen auf einer Höhe von 14 Meter und werden vom Dachzwischenraum aus gewartet.
Außerdem gibt es Säulenleuchten mit Spots, um gezielt Akzente zu setzen. In diese Leuchten sind auch Up- und Downlights integriert, die Decke und Boden aufhellen können. Sie hängen auf 12 Meter Höhe. „Das entspricht der längsten hausinternen Leiter der Dompfarre“, so Michael Podgorschek. „Der erste Eindruck ist sehr wichtig. Deshalb sind alle Säulenleuchten in den Kanneluren auf der Rückseite montiert, so dass man sie beim Betreten des Domes nicht sieht. Die denkmalgeschützten Luster von Maria Theresia mussten natürlich erhalten bleiben, bekamen aber neue LED-Kerzen. „Wir wollten ein mystisches Licht, dass dem der Kerze sehr nahe kommt.“ Podpod design setzten dafür die kerzenähnlichen LED-Leuchten ein, welche sie vor einigen Jahren für das Palais Liechtenstein entwickelt hatten. „LEDs gibt es in allen Farbtemparaturen, je niedriger der Wert, umso wärmer das Licht. Wir haben 2.200 Kelvin für die ,Kerzen‘ in den Lustern verwendet, 2.700 Kelvin für die Säulen und, um die Figuren anzustrahlen und die Decken aufzuhellen und 3.000 Kelvin für das Direktlicht zum Lesen“, so podpod design.
Insgesamt wurden 1.111 Lichtpunkte im Dom neu gesetzt, 772 davon befinden sich in den Penden und in den 62 Säulenstrahlern, dazu kommen 316 Lichtpunkte in den Lustern und einige Bodenleuchten, um beispielsweise die berühmte Kanzel von Meister Pilgram anzustrahlen. „Licht ist Leben“, sagt Iris Podgorschek. „Es wirkt erst im Zusammenspiel mit Mensch und Raum.“ Grundlicht zwischen den Messen, ausgeleuchtete Altarbilder, Leselicht am Ambo und über den Bänken der feiernden Gemeinde, Düsternis in der Fastenzeit, eine facettenreiche Lichtsymphonie von dunkel bis strahlend bei Hochfesten wie Weihnachten und Ostern: Die Anforderungen an die Raumstimmungen im Dom sind hoch. Um sie perfekt einzustellen, ist jede Leuchte elektronisch ansteuerbar. Im DALI-Steuerungssystem hat jede Leuchte ihre eigene Adresse, kann aber auch in Gruppen zu Lichtszenen zusammengefasst werden. „Man kann am Tablet jede Lichtszenerie abrufen“, sagt Iris Podgorschek. Ein Monitor dafür befindet sich hinter dem Hochaltar, ein zweiter in der Sakristei, der Messner hat ein Tablett zur Steuerung bei sich. Gläubige und Besucher merken davon nichts: Sie genießen, dass sie nun alle Figuren, das steinerne Maßwerk und die Rippenbögen der Gewölbe endlich wunderbar ausgeleuchtet bewundern können.
Dieser Text ist erstmals in der DBZ 03/2020 erschienen