Die Zukunft liegt im Bestand: Mit wenigen, gezielten Eingriffen machten Sue Architekten das Haus der Großmutter des Bauherrn zum offenen, großzügigen Familiendomizil. In einem zweite Schritt wurde auch der alte Holzschupfen umsichtig saniert und wachgeküßt.
Als Kind spielte der Bauherr oft im Garten seiner Großmutter. Sie bewohnte ein Haus in Ottenheim im Wienerwald. Als Erwachsenen zog es den urbanen Intellektuellen nach Wien. Er ist Journalist. Seit Generationen befand sich das Häuschen auf gesunden, sommerfrischen 300 Meter Seehöhe mit dem typischen Mansardendach in Familienbesitz. Die Urgroßmutter, eine gebürtige Ungarin aus der Slowakei, die in Wien eine Greißlerei betrieben hatte, kaufte es 1949 um ihre Rente. Der Einreichplan für das Haus mit Veranda stammt aus 1929: Er zeigt, dass es ursprünglich seitlich vom Wohnzimmererker, der als zentrales, repräsentatives Element gedacht war, erweitert hätte werden sollen. Das konnte sich die Familie nicht leisten, so blieb es asymmetrisch: Rechts im Norden der Eingang, dahinter ein Vorraum mit Nebenräumen und Stiege nach oben, Esszimmer und Wohnraum waren zur Morgensonne, in Richtung Straße orientiert. Rückwärts, am ansteigenden Hang im Westen lag die Küche.

Die Südseite zum Garten hin war fensterlos und mit Eternit verkleidet, auf den Rasen hatte man 1934 einen Schuppen gebaut: 4,10 Meter breit, 8,10 Meter lang, aus dunklem, mit teerigem Carbolineum gestrichenen Holz und einem Satteldach, auf dem sich das Moos breit machte. Dieser Stadel war bis oben voll familiärer Erinnerungsstücke, hatte eine Vergangenheit als Hühner- und Hasenstall hinter sich und wurde 1952 um eine Waschküche erweitert. Er diente als vielseitiges Wirtschaftsgebäude, Lager und Stauraum. Damals ließ der Großvater auch die Veranda wegreißen und das kleine Schwimmbad im Garten ausheben. Im Haus gab eine urige Zirbenstube, ein von Pflanzen überquellendes Blumenfenster, gemusterte Tapeten mit vielen Bildern, falsche Holzträme an den weißen Decken, Teppiche und Kämmerchen. Es war sehr voll.

Nach dem Tod der Großmutter erbte der Bauherr das Haus. Seine zwei Kinder waren gerade frisch geboren. Als Wohnstatt für die neue Familie musste es einen Teil vom Ballast seiner Vergangenheit abwerfen, entstaubt und entrümpelt werden. Der Bauherr wünschte sich ein offenes, lichtes, helles Haus im Grünen, in dem man den Zauber des Gartens spüren konnte. Er dachte, dass die Lösung in einem verandaartigen Zubau läge, doch SUE Architekten überzeugten ihn davon, dass es genügte, die Struktur des Bestands mit Maß und Ziel aufzubrechen. So glückte es, das Haus an die Bedürfnisse seiner neuen Nutzer anzupassen, ohne sein Wesen zu verraten. Auf den ersten Blick – von der Straße aus – wirkt es wie immer, in Wirklichkeit hat es sich stark verwandelt. Die Wand zwischen Wohn- und Esszimmer wurde entfernt und in die Südfassade eine riesige Öffnung eingebrochen, die bis zur Küche reicht: Ein Durchbruch verbindet sie direkt mit dem lottrigen, neuen Einraum zum Kochen, Essen und Wohnen im Erdgeschoß. Er öffnet sich mit einer Verglasung zur Südsonne und zum Garten, bietet aber mit der Sitzbank im Erker und der Spielnische für die Kids einige Rückzugsmöglichkeiten.

Die bis dato vernachlässigte Südseite mit den Apfelbäumchen bekommt nun endlich die Aufmerksamkeit, die ihrem wahren Wert entspricht. Eine Tür und drei Stufen verbinden den Raum direkt mit der Terrasse, die aus dem Garten ein verlängertes Freiluftwohnzimmer macht, aus dessen kreisrund ausgeschnittenen Brettern die Apfelbäume ungehindert weiter wachsen. Bodenstrahler leuchten nachts in die Blätter und adeln so die Baumkronen zur natürlichen Ganzjahresbühne für die Blütenpracht im Frühling, das Balzen der Vögel, das Reifen der Früchte, die Strahlkraft der Futterhäuschen für die gefiederten Gefährten im Winter und andere Sensationen im Garten.
Der Schuppen am anderen Ende der Terrasse aber blieb lang unverändert. Örtliche Handwerker rieten dazu, ihn durch einen Neubau zu ersetzen, doch der Bauherr wollte ihn nicht zerstören. Es brauchte ein paar Jahre Wohnerfahrung, bis bei ihm eine Vorstellung heran reifte, was der Schuppen für ihn sein könnte. Und so wurde aus einem Trockendachboden für die Wäsche mit der fachkundigen Unterstützung von SUE Architekten nach viel Entrümpelungsarbeit eine vielseitige Wunderkammer. Außen teerschwarz wie eh und je, eröffnet sich für jeden, der die steile Treppe auf den Dachboden des alten Stadels erklimmt und die mit geklopftem Messing beschlagene, schillernde Falltür hoch hebt, eine fast magische, eigene Welt.


Der alte, von Wurmlöchern zerfurchte Lärchenbretterboden blieb, sonst blieb nichts von Spinnweben und Dachstuhlflair. Die Stirnseite unter dem First im Westen wurde komplett verglast und mit einem Stahlrahmen verstärkt. Hier fällt nun die Abendsonne herein und scheinen die Zweige der Silberzypresse im Garten zum Greifen nahe. Es wirkt wie eine edle Schatulle und gibt dem Raum, was im Haus nicht möglich ist. Für den Bauherren ist es eine atmosphärische Schreibwerkstatt und Denkstube, in der er ungestört und konzentriert arbeiten kann. Für die Kinder ist er ein erhöhtes, verlängertes, exterritorialies Spielzimmer, für die Verwandtschaft ein Gästeloft. Die verglaste Stirnseite lässt viel Licht in den Raum unter dem Dachstuhl fallen, der an den Ecken biegesteif verstärkt, mit 5 cm Wärmedämmung versehen und zur Gänze mit dünnen, horizontal verlaufenden Lamellen aus grau lasiertem Fichtenholz verkleidet wurde. Sie geben der Dachfläche eine schöne Struktur, auf einer Seite ist ein langer Lichtstreifen eingelassen, außerdem gibt es Scheinwerfer. Man kann also auch bei Dunkelheit hier arbeiten oder einfach in den sternklaren Nachthimmel vor dem Fenster schauen. Die Decke der einstigen Waschküche, die etwa 120 cm über dem Boden verläuft, wurde gepolstert: Sie ist nun weiche Spielfläche und großzügiges Gästebett. Durch das kleine Fenster unter dem First fällt die Morgensonne ein. „Ich wollte keinen transparenten Weisheitsraum, eher eine Höhle“, sagt der Bauherr. Unter der gepolsterten Bettstatt gibt es Schrankwände: Sie bergen seine Bibliothek. „Es ist also wieder ein Wirtschaftsraum.“

Ein Text zu diesem Stadel erschien auch im wunderbaren Magazin „QUER“