Im Mezzanin eines schönen Hauses aus der Jahrhundertwende betrieb Wolfgang Schön, einer der letzten seines Standes, in der Wiener Innenstadt eine Kupferdruckerei. Eine Mieterhöhung zwang ihn, seine Werkstatt zu schließen und in Pension zu gehen. Der Text über einen Besuch bei einem großen Meister an einem einmaligen Ort aber bleibt.
„Eberhard Schön Kunstanstalt für Kupferdruck“ steht in schwarzen Buchstaben auf einem großen, fast quadratischen weißen Schild am Hauseingang in der Wiener Innenstadt. Gleich darunter: „vorm. J. Lamser.“ Dieser Name ist heute keinem mehr ein Begriff, doch für Wolfgang Schön, der hier im Mezzanin als einer der letzten das Gewerbe des Kupferdrucks am Leben erhält, ist es selbstverständlich, ihm am Firmenschild seine Referenz zu erweisen. Schließlich war es Josef Lamser, der den Betrieb 1922 in Hernals gründete und 1937 an die vornehme Adresse Naglergasse 4 verlegte. 1942 kam er bei einem Badeunfall in der Alten Donau um und wurde als Wasserleiche aus den Fluten geborgen. „Es war eine Tragödie. Er war ein super begabter Kupferdrucker, einer der besten, die es damals gab“, erzählt Schön mit viel Ehrfurcht in der Stimme. „In meiner Lehrzeit musste ich mich am Telefon noch mit ,Lamser-Schön‘ melden.“ Leopoldine Lamser, die Witwe, übernahm den Betrieb. 1945 trat ihr Neffe Eberhard Schön in die Firma ein. Über 60 Jahre, bis zum letzten Tag seines Lebens, übte er sein Handwerk aus. Sein Partezettel hat einen fixen Platz in der Werkstatt, wo Sohn Wolfgang 1973 als Lehrbub seinen Weg zum Meister antrat. „Visitkarten, Briefe und andere feine Drucksorten in Kupferstich“ werden von ihm nun mit viel Sorgfalt und Erfahrung einzeln gefertigt. So, wie er es von Vater Eberhard erlernte.
„E.SCHÖN Kupferdruck“ steht noch immer auf dem Schild mit dem roten Pfeil, der unmißverständlich auf die gelbe Metalltür weist, hinter der eine andere Welt beginnt. In diesen Räumen mit dem alten Parkettboden, dem Druckerfarbe und Kreidestaub eine bestimmte Patina verliehen haben, scheint die Zeit aus den Angeln gehoben. Wolfgang Schön öffnet im Arbeitskittel. „Grüß Gott und meine Verehrung!“, sagt er original Wienerisch und führt seine Besucher am schönen, alten Kamin und dem Gasofen vorbei zu einem Tisch in der Mitte der Werkstatt. Ein Thonetstuhl, ein leicht wackeliger Kindersessel aus einer alten Volksschule und Holzstühle verteilen sich im Raum, auf vielen Arbeitsflächen stapeln sich diverse Papierbögen von feiner Seide bis zu handgeschöpftem Bütten, Schneidemesser, Kartons, Schachteln, Mappen, Farbtigel, Lineale, Metallwalzen. Auch Knochen sind dabei: Archäologische Funde der Eltern Schön. Über diese Zeitzeugen hinweg blickt man durch die großen, hohen Fenster auf die Bognergasse mit den neuen exklusiven Geschäften, zwischen denen Menschen hektisch über die Fußgängerzone huschen.
Einen Halbstock höher gibt es kein Internet, hier regieren die tradierten Regeln des Kupferdrucks und große Achtsamkeit. Wolfgang Schön weiß genau, wo seine Musterkarten und Werkzeuge liegen. Dazwischen stehen majestästisch schwere, schwarze Druckerpressen. Sie zählen zum Inventar, seit es die Firma gibt und sind per Hand zu bedienen. „Ich habe keine einzige elektrische Maschine“, sagt Schön stolz. „Hier werden Visitkarten und Bilddrucke gedruckt wie zu Albrecht Dürers Zeiten.“ Hier wird jedem Gegenstand seine Eigenart und Geschichte zugestanden, genauso wie jeder sich hier von den Musterbüchern voller Karten inspirieren lässt, um dann seine ganz individuellen Vorstellungen zu äußern. Ärzte, Diplomaten, Künstler, Politiker, Rechtsanwälte: Die Klientel ist erlesen, die Karten werden mach Berufsgruppen sortiert verwahrt. Wolfgang Schön schlägt ein Buch auf dem Tisch auf: Eine fein akkordierte Vielfalt an Typografien, Papieren und Formaten tritt zu Tage und mit ihnen eine kleine Kulturgeschichte der Gesellschaft: Bundespräsident Dr. Adolf Schärf, Franz Jonas, Dr. Franz König, DDr. H.c. Ing. Leopold Figl, André Heller und viele weitere Namen lesen sich wie ein „Who is who“ der österreichischen Zeitgeschichte. Bruno Kreisky hat nicht nur die Visitkarte, sondern auch Kuverts, Briefpapiere und Einladungskarten beauftragt. Ein Mann von Welt, der das „vornehmste Druckverfahren für den kulturbewussten Personenkreis“ zu schätzen wusste.
„Früher ist fast ganz Österreich her gekommen“, erinnert sich Wolfgang Schön. „Da gab es noch Papierhandlungen, die uns Kunden schickten. Aber die sind auch fast alle ausgestorben, wer schreibt heute schon einen Brief?“ Nach dem Krieg war ein Format von 9 mal 5 cm für Damen, 10 mal 6 cm für Herren en vogue. Außerdem waren Schriftzüge wie „Herr und Frau Dipl. Ing. Adolf Kretschmer“ völlig normal, selbst eine handschriftlich durchgestrichene Ehefrau findet sich im Visitkarten-Archiv. Die Frau als Anhängsel. Bemerkenswert aus heutiger Sicht: arglos verewigten Bankdirektoren, Politiker und andere Prominente neben den offiziellen auch private Adressen und Telefonnummern per Kupferdruck. „Das ist heute undenkbar“, so Schön. Bei denen, die das vornehmste Druckverfahren noch zu schätzen wissen, geht der Trend derzeit in Richtung Zurückhaltung: Ein Name, sonst nichts. Dieser schlägt übrigens je nach Schrift mit je drei oder fünf Euro pro Buchstabe zu Buche. Dazu kommen acht Euro für Kupferplatte. Für hundert handgedruckte Visitkarten verrechnet Schön 142 Euro ohne Mehrwertssteuer. Fast nichts für so viel Kultur.
Wolfgang Schön liebt seine Arbeit. Von Montag bis Donnerstag steht er von 05:30 bis 15:00 und freitags von 05:30 bis 11:30 in seiner Kunstanstalt. Er ist kein Mann des Marketing, er vertraut auf Mundpropaganda und die Qualität seiner einmaligen, Stück für Stück handgefertigten Drucksorten. Karten, Briefe, Kuverts,Visitkarten. Über zwanzig metallene Schriftschabonen mit unterschiedlichen Typen – enge, weite, römische, Druckschriften, Handschriften, Schreibschriften, Blockschriften mit oder ohne Schraffur – hat Schön auf seinem Arbeitsplatz am Fenster in einem Karton liegen. Diese werden mit dem Pantografen auf exakt die Größe verkleinert, die sich der Kunde wünscht und so gesetzt, wie es am besten aussieht. Für jedes Wort tüftelt Schön den richtigen Abstand aus, dann reinigt er die Kupferplatte, asphaltiert sie, wärmt sie an, überträgt den Schriftzug spiegelverkehrt per Pantograf, ätzt die Platte leicht mit Eisen III Chlorit und sticht. Der letzte Schliff erfolgt dann mit Stichel, Nadel, Schaber, Polierstahl, Feile und Schleifpapier. Wenn die Platte perfekt ist, mischt Schön die Farbe mit Leinöl und Trockenstoff ab, bis Konsistenz und Farbton exakt passen: ein dunkles Grau. Das wird mit einem kleinen Baumwollknäuel in die eingekerbten Vertiefungen gerieben, mit Handballen und Kreide perfektioniert und endlich gedruckt. Jede Platte ist anders, jede braucht unterschiedlich viel Farbe. Wenn alle Stricke reißen, lassen sich Fehler oder Änderungswünsche auch wieder aus der Platte ausschleifen, klopfen und neu stechen. Als sehr hilfreich erwies sich diese Fertigkeit, als vor ein paar Jahren die Telefonnummern um eine Stelle verlängert wurden: Da sass Schön wochenlang und korrigierte die Kupferplatten seiner Kundschaft. Das ist echte Nachhaltigkeit.