In einer epischen Länge von 215 Minuten Laufzeit bringt der Film „The Brutalist“ von Regisseur Brady Corbet das Leben, Lieben und Leiden des ungarischen Architekten Lásló Toth aufs Cinemascope-Format. Monumentale Szenen, große Schauplätze, Gefühle und Klischees in atemberaubend echter 1950er Jahre Ästhetik.
Die Castingagentur machte ihre Sache gut. Das monumentale Epos „The Brutalist“ ist herausragend besetzt. Alle, die hier eine größere Rolle spielen, sind außerordentlich attraktiv. Man sieht sie gerne an. Sonst hielte man diesen Film kaum aus. Immerhin mutet einem Regisseur Brady Corbet eine exzessive Lauflänge von 215 Minuten und eine von dramatischen Wendungen überfrachtete Handlung zu, die kaum ein Klischee auslässt.

Der Milliardär. Launisch, mächtig, kalt. Sein Sohn. Privilegiert, schwach, herrisch. Der Architekt. Genial, ausgezehrt, leidenschaftlich. Die Frau. Schön, aufopfernd, tapfer. Jede Gesichtsregung, jedes Kleidungsstück, jedes Requisit, jeder Schauplatz, jede Lichtstimmung sitzt. Bis zum letzten Statisten und der letzten Statistin. Jede Szene ein Tableau. Das ist die Stärke und Schwäche dieses in jeder Hinsicht überbordenden Epos: er ist so durch und durch Inszenierung, so schönheitstrunken, das seine Bildgewalt alles unter sich begräbt, was irgendwie Differenzierung oder Tiefgang bedeutet hätte. Wahrscheinlich wäre es einfach zu sehr aus dem Rahmen gefallen.
Hoffnungsfroh schaut Architekt László Tóth (Adrien Brody) der Freiheitsstatue entgegen. Die Sonne verheißungsvoll, dahinter die Silhouette von New York, so schön, wie sie nie gewesen ist. Wir schreiben das Jahr 1947, der ungarische Jude hat gerade den Holocaust hinter sich, wankt im zerschlissenen Anzug mit zerbeulter Ledertasche von Bord. Brody verkörpert ihn exzellent in Gebrochenheit und Größe. Dass in diesem großen, schmalen Mann mit dem sensiblen Gesicht, den tiefen Ringen unter den dunklen Augen, dem immer eine dunkle Haarsträhne in die hohe Stirn fällt, ein Genie stecken könnte, ist von Anfang an zu erahnen. Hinter seinem verhaltenen Lächeln und im fahrigen Blick deutet sich ein Trauma an, das der dünne, aber trainierte Körper uns nicht mehr zumutet. Die New Yorker Prostituierte am Anfang des Films wirkt ganz so, als ob sie die aparte Leiste und den Waschbrettbauch zu schätzen wüßte. Ob Lásló ihre Liebesdienste genießen kann oder vom dunklen Bildern geplagt erleiden muss, bleibt offen. Der Grat zwischen Schmerz und Erfüllung wird den ganzen Film über ein schmaler bleiben. Das gehört zum Geniekult und diesem huldigt „The Brutalist“ durch und durch.


Hier ist alles stark und plakativ. Wenn Tóth in Amerika von seinem Cousin Attila in Pennsylvania abgeholt wird, weinen beide haltlos. Das wichtigste: Erzsébet, die heißgeliebte Gattin mit dem ungewissen Schicksal, hat überlebt. Zwar schwerkrank, im Rollstuhl, aber immerhin. Auch sie wird es nach Amerika schaffen. Attila ist zum Christentum konvertiert, mit der schönen, katholischen Audrey verheiratet und verkauft altdeutsche Möbel. Er beschäftigt den bauhausgeschulten Verwandten, der Architekt bleibt seinen Prinzipien treu, entwirft einen Freischwinger und ergreift seine Chance, als Harry Lee Van Buren (Joe Alwyn), in dessen Abweseheit den Umbau des Lesesaal seines Vaters beauftragt. Letzterer ist der fast allmächtige Milliardär Harrison Lee Van Buren (Guy Pierce). Lásló entwirft ein raumhohes, rundumlaufendes Regalsystem aus Holz mit drehbaren Elementen. Es kommt zum Eklat, Attila feuert ihn, Lásló kommt in einen Männerheim unter, arbeitet schwer auf Baustellen, raucht wie ein Schlot, nimmt Drogen – wird gesucht, gefunden und entdeckt.
Seine Bibliothek für Harry Lee Van Buren schaffte es in ein gefeiertes Designmagazin, Láslós sozialer Aufstieg ist besiegelt: Er wird zum gefeierten Architekten des Milliardärs, der dessen Mutter zuliebe ein gigantisches Kulturzentrum entwerfen soll. Diesem monumentalen Bauwerk aus Beton verdankt der Film seinen Namen, obwohl es mit Brutalismus kaum etwas gemein hat. Es ist eher symbolistisch, die riesigen Katakomben im Untergrund zitieren die wunderbar luziden Säulen des Johnson Wax Headquarters. Diese Umkehrung ist bezeichnend. Der Bau steht unter keinem guten Stern, ebenso wenig die das toxische Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem aufbrausendem Bauherrn und seinem Architekten. László ist eine Leidensfigur, er raucht wie ein Schlot, nimmt Drogen, zeichnet seine Architektur wie im Rausch, wird immer fahriger, explosiver und zunehmend auch für seine Frau Erzszébet verstörend. Der Weg zum großen Showdown führt hier durch große Tableaus, wie beispielsweise den titanweiß zerklüfteten Marmorsteinbrüchen von Carrara.


Womit wir bei der herausragendsten Qualität dieses Films wären, die einfach überwältigt. „The Brutalist“ hat Kameramann Lol Crawley fast ausschließlich in Vista Vision analog in 70-mm gedreht. Dieses Produktionsformat des Jahres 1954 führt zu einem Projektionserlebnis in epischer Größe. Die Schauplätze, Drehorte, Architektur, Innenräume, Lichtstimmung, Kameraführung, Drohnenflüge, Kolorierungen, Filter, Weichzeichner, Schnitte: „The Brutalist“ ist mit einem gigantischen Aufwand gedreht und produziert. Die Bilder sind Kader für Kader von brillanter Schärfe und in einer Tonigkeit, die genau unserer Vorstellung der Nachkriegszeit entspricht. Hier sitzt jedes Requisit. Dazu passt, dass er mit einer Pause gezeigt wird, wie es früher üblich war.
Ästhetisch bleibt kein Wunsch offen, auf gewisse Weise würde eine tiefergehende Charakterzeichung der Figuren diese Glätte stören. Hier ist alles bombastisch. Am Ende des Films erfährt das Genie auf der ersten Architekturbiennale in Venedig eine späte Würdigung. Die Szene spielt in matten Grautönen, das passt zum ergrauten Lásló Tóth, der inzwischen vom Leben gezeichnet im Rollstuhl sitzt. Dieser Epilog beginnt mit dem Bug einer Gondel, deren schwarzer Lack in der Sonne über der Lagune leuchtet. Das sagt alles.

Der Film bekam den Silbernen Löwen für die beste Regie (Brady Corbet) bei den Filmfestspielen in Venedig, sowie drei Golden Globe Awards (Bester Film, beste Regie, bester Hauptdarsteller – Adrien Brody).