Wer immer schon etwas mehr über Architektur als Disziplin, Kulturtechnik und geistige Leistung wissen wollte, dem sei Hermann Czechs Buch „Ungefähre Hauptrichtung – Schriften und Gespräche zur Architektur“ wärmstens empfohlen.
Punktgenau zum 85. Geburtstag erschien am 10. November 2021 der lesenswerte Band
„Ungefähre Hauptrichtung – Schriften und Gespräche zur Architektur“ von Hermann Czech.
Ein Geschenk des Autors an sich und uns.
Hermann Czech ist der große Essayist unter Österreichs Architekturschaffenden. Punktgenau zu seinem 85. Geburtstag ist am 10. November im Löcker Verlag sein Buch „Ungefähre Hauptrichtung – Schriften und Gespräche zur Architektur“ erschienen. Der Autor hat damit sich und uns reich beschenkt. Schon der Titel ist Programm, wohnt ihm doch eine gewisse Skepsis gegen allzu starre Festlegungen inne. Kritische Fragen zu stellen, ist der Persönlichkeit von Hermann Czech eingeschrieben. Dieses Buch ist auf die beste Weise altmodisch – es ist von Gedanken getragen, die dort, wo es sein muss, mit Fotos, Skizzen und Plänen ergänzt werden. Seine Lektüre ist ein großes Vergnügen mit Erkenntnisgewinn.
Architekten, die schreiben, sind äußerst selten. Architekten, die schreiben und bauen, noch wesentlich seltener. Beherrschen sie beides, ist mit außergwöhnlichen, oft pointierten Texten und ebenso außergewöhnlicher Architektur zu rechnen. Man denke nur an Adolf Loos und Josef Frank. Auch Hermann Czech schreibt und baut. Er ist der große Essayist unter Österreichs Architekturschaffenden, sein gebautes Werk ist quantitativ eher schmal, qualitativ dafür umso gewichtiger – und zutiefst Wienerisch. Der Prozentsatz an Wiener Institionen in seinem Oeuvre ist überdurchschnittlich hoch: das Kaffeehaus, das Gasthaus, die Staatsoper, ein sozialer Wohnbau am Wiener Mühlgrund, das Sigmund Freud Museum.
Czech ist ein ständig reflektierender Beobachter der Welt und überprüft seine eigenen Entscheidungen fast bis zum Exzess. Davon erzählen auch seine Schriften, daraus resultiert eine vielschichtige, unorthodoxe, nur sehr bedingt modische, mitunter ekklektizistische Architektur. Architektur und Schrift – das eine ist bei Czech ohne das andere nicht zu denken, beides befruchtet sich gegenseitg und hat auch viele Kollegen und Kolleginnen inspiriert. Czech verfügt über eine profunde Kenntnis der Baugeschichte, seine Texte stecken voller Verweise auf bemerkenswerte Bauwerke, auch Zitate von Adolf Loos, Josef Frank, Otto Wagner und Konrad Wachsmann finden sich darin. Dazu kommen jahrzehntelange Erfahrung als praktizierender Architekt, eine merkbare Lust an pointierten Formulierungen und das absolute Bedürfnis, klar Stellung zu beziehen. In Österreich ist er damit eine Ausnahmeerscheinung.
„Ja, das eigentliche künstlerische Material der Architektur ist nicht der Baustoff, die Konstruktion, die skulpturale Form, nicht einmal das Licht – es ist das Verhalten von Menschen.“
Hermann Czech
„Ja, das eigentliche künstlerische Material der Architektur ist nicht der Baustoff, die Konstruktion, die skupturale Form, nicht einmal das Licht – es ist das Verhalten von Menschen“, bemerkt Czech in einem Essay, um weiter zu Loos und Frank zu kommen. Er reflektiert über eine Strategie für das Unplanbare, Sich wundern und verstehen, Kritik und Metakritik, Gender und Sprache.
Im Essay „Das Lokal“ ist zu lesen: „Denn die Bedingungen für das Verhalten von Menschen sind ein mühevolles, verwirrendes Feld, wer sich einmal darin bewegt, dem sind ,Design‘-Entscheidungen von Herzen zu blöd. Nehmen wir die elementarste Bedingung, die das Lokal schafft (wenn man einmal von er Temperatur absieht): den Sitz – die labile Lage des Beckens beim Sitzen, das Bedürfnis, das Becken abzustützen, um es nicht vorwärts oder rückwärts rollen zu müssen, die Stützkurve klassicher Polsterungen des 19. Jahrhunderts, die erst durch ergonomische Untersuchungen der 1960er Jahre wieder entdeckt wurde – wie sehr interessiert da ein ,Designer‘-Stuhl, über dessen Beine man fällt, wenn man dahinter vorbei geht?“ Mehr ist nicht nötig, um zu verstehen, warum in Czechs Lokalen von der ersten Annhäherung bis zum Aufbruch in den frühen Morgenstunden alles passt.
Czechs Vater war gelernter Kellner, seine Mutter Kassiererin, beide machten sich nach dem Krieg selbständig und betrieben eine Kantine in der Hofburg, die später zum Restaurant „Ballhaus“ wurde, dem ersten Lokal, das Czech gemeinsam mit Wolfgang Mistelbauer und Reinald Nohàl neu gestaltete: Sie kombinierten Tapeten, Stoffe und Sessel von Josef Hofmann aus verschiedenen Zeitepochen. Czech gestaltete das „Kleine Café“, längst eine Wiener Institution, das Restaurant „Salzamt“, das Café im Wiener Museum für Angewandte Kunst, das es leider nicht mehr gibt, die „Wunder-Bar“ und das Restaurant „Immervoll“, das immer voll ist, aber nun Gasthaus Pöschl heißt. Er verpasste der Wiener Staatsoper ihre Winterverglasung – eine kristallin anmutende, deutlich sichtbare Struktur, deren Geometrie einen dezenten Bogen um die Figuren auf der Fassade macht, aber keinerlei Anstrengung, selbst zu verschwinden. Gemeinsam mit ARTEC und Walter Angonese gestaltete Hermann Czech das Sigmund Freud Museum – ohne jede falsche Rekonstruktion, sondern einer behutsamen, aufrichtigen Freilegung des wenigen, das noch da ist.