Niemand beherrschte die Kunst der Fassadenleserei so meisterhaft wie Klaus Jürgen Bauer. kein Wuner, hatte er doch diese spezifischen Form von Architekturvermittlung erfunden. Ende Juni ist er gestorben, zum Glück hat er seine Geschichten hinter den Häusern aufgeschrieben und uns so sein Wissen vermacht.
Klaus Jürgen Bauer war der Sonnenschein der hiesigen Architekturszene und tief in seinem Herzen ein Kind der pannonischen Tiefebene. Niemand wusste den Reichtum der burgenländischen Ausformung des Streckhofs nur annähernd so umfassend wahrzunehmen, zu begreifen und in Worte zu kleiden wie er. Bauer war ein außergewöhnlicher Architekt. Häme und Missgunst kannte er nicht, spektakuläre, zeitgeistige Bauten nahm er als interessierter Baukünstler wahr, sie bewegten ihn nicht sonderlich. Sein Herz brannte für vernakuläre Architektur, die von vielen links liegen gelassen wird. Vor allem die Typologie des pannonischen Sreckhofes, aber nicht ausschließlich. Auch Niederösterreich, Tschechien, Italien, Stadthäuser und Kirchen: Kleine Gemmen sind überall zu finden, man muss sie nur sehen.

Klaus Jürgen Bauer hatte eine sehr geschulte Wahrnehmung. Sie war getragen von tiefem Verständnis für eine Architektur, die von ihrem Gebrauch gezeichnet und mit der Zeit gereift ist. Er sah über ihren Verfall hinweg und hindurch auf die ihr innewohnende, teils Jahrhunderte alte Weisheit. Es steckt viel Wissen in einem so einem windschiefen, von Zeit, Witterung und Missachtung gebeugten Haus. Bauers aufmerksamer Blick nahm die Schönheit, den Reichtum und die Intelligenz der unscheinbaren Bauten von Planenden ohne Namen wahr und verbreitete sein Wissen darüber. Diese einfachen Häuser prägen unsere Dörfer, Städte und Landschaften wesentlich mehr als die aufsehenerregenden Schöpfungen der Stararchitekten und Stararchitektinnen. Eine Strömung, die in Bauers Studentenzeit und frühem Erwerbsleben maßgeblich war. So kometenhaft sie aufgestiegen war, so still und fahl ist sie erloschen. Immerhin muss man ihr zugute halten, dass sie noch Ambitionen hatte.


Klaus Jürgen Bauer wurde 1963 in Wien geboren, besuchte an der dortigen Hochschule für Angewandte Kunst bis 1989 die Meisterklasse Wilhelm Holzbauer, wanderte unmittelbar nach der Wende nach Weimar aus, promovierte an der dortigen Bauhaus-Universität und eröffnete 1997 sein Architekturbüro in Eisenstadt. Er begann mit Ausstellungsgestaltungen, Interieurs, Einfamilienhäusern, sozialem, geförderten und freifinanzierten Wohnbau.
„Und dann kam eine radikale Wende in seinem Architektenleben“, erzählt seine Frau, Dorothea Bauer-Lendl. Es muss etwa vor fünfzehn Jahren gewesen sein. „Von heute auf morgen hat er aufgehört mit dem konventionellen Neubau. Es fühlte sich für ihn einfach so falsch an: die kurzlebigen, unnatürlichen Materialien, die vielen Vorschriften, die geforderte Wirtschaftlichkeit.“ Ökonomisch war dieser Bruch für das Büro nicht leicht, ab dann wurde die behutsame Sanierung historischer Bausubstanz zum Schwerpunkt seiner Arbeit, insbesondere im Umgang mit dem burgenländischen Streckhof erwarb er sich große Expertise. Das schlug sich auch in seinem Werkverzeichnis nieder und stieß zunehmend auch auf Anerkennung.



Der Architekt hatte den weiten Horizont der pannonischen Tiefebene: Zum zweihundertsten Todestag von Joseph Haydn realisierte er gemeinsam mit dem Künstler Peter Baldinger im Schloss Esterhazy das Café Maskaron. Der Name ist eine Referenz an die barocken Groteskenmasken am Schloss, das grundlegende Gestaltungsmotiv war das barocke Lebensgefühl, das sich auch in Haydns Musik findet. Baldinger und Bauer wollten ihm mit modernen Mitteln Ausdruck verleihen. Sie verstanden sich blind und bildeten ein kongeniales kreatives Gespann.
Baldinger bemalte die Deckengewölbe in seiner typischen Pixelmanier aus abstrakten Farbflächen so, dass sie aus der Ferne einen Wolkenhimmel ergeben. Klaus Jürgen Bauer ergänzte das mit zwei manieristisch anmutenden, gigantischen, weißen Wolkenlampen, in deren Form ein aufgespannter Regenschirm anklingt. Da ist er wieder, der Humor. Wie hingetupft wirkten die weißen Stühle auf dem dunklen Boden und vor der blau hinterleuchteten Bar. Das Café Maskaron war ein sehr fast surrealistischer Raum, in dem sich Abstraktion mit Manierismus und einem Hauch Memphis vermählte.
Pünktlich zum 100 jährigen Jubiläum von Eisenstadt als Landeshauptstadt des Burgenlandes wurde heuer am 30. April die Stadtvilla eröffnet. Bauer sanierte diese Architektenvilla aus den 1950er Jahren, die noch im Originalzustand erhalten war und baute sie zum Stadtmuseum aus und um. Die Dauerausstellung zeigt die Geschichte dieser Landeshauptstadt, die mehr als dreißig Jahre am Eiseren Vorhang und damit am äußersten Rand der westlichen Welt gelegen war. Bauer hatte die Idee, sie als Haus im Haus zu gestalten. In den Garten stellte er ein kleines, dunkelrotes Salettl aus Holz. Dort sollen Veranstaltungen statt finden. Es war sein letztes Projekt, für die Eröffnung war er zu schwach, doch er hat es noch fertig gesehen.


„Das Architekturhistorische war ihm sehr wichtig“, erzählt seine Frau. „Er wollte, dass auch junge Studierende etwas von der Geschichte wissen.“ Als sich diese bei einem Seminar auf der TU Wien als ziemlich unbeleckt entpuppten, ging Bauer mit ihnen kurzerhand eine Runde auf den Karlsplatz und erzählte. Von Theodor König, dem Planer der TU, Johann Bernhard Fischer von Erlach, dem die barocke Opulenz der Karlskirche zu verdanken ist, Oswald Haerdtl, dem Architekten des Wien Museums und dem großen Theophil Hansen, dem Schöpfer des Musikvereins gegenüber. Bauer vermittelte Geschichte mit Geschichten.
Als einziger beherrschte er die Kunst der Fassadenleserei, eine spezifische Spielart gehobener Architekturvermittlung, die in ihm ihren Meister fand. Sie setzt viel voraus, was der heiteren Beschwingtheit seiner klugen Texte nicht mehr anzumerken ist. Eine umfassende Bildung im humanistisch breit gestreuten Sinn, einen aufmerksamen Blick, der sich von Oberflächlichkeiten weder abschrecken, noch ablenken lässt und Stärken sieht, wo andere vornehmlich Schwäche vermuten. Und zwar: tatsächliche Stärken, keine schön geredeten, irregeleitet Wohlwollenden oder erfundenen. Der praktizierende Architekt hatte ausreichend Wissen, um Qualität zu erkennen und beurteilen zu können. Das war die Grundlage, dazu kamen Vornehmheit und Respekt. Er ließ Menschen und Bauten ihre Würde und tat weit mehr als Fassaden lesen: er schaute auch dahinter. Was nicht heißt, dass er nicht kritisch war. Klaus Jürgen Bauer bezog klar Stellung. „Ein Gespinst geht um in Europa – ein Gespinst, das in Form von gepressten Schaumplatten auf unsere Hauswände geklebt wird. Alle Mächte Europas haben sich in einer heiligen Hetzjagd – so scheint es – für das Dämmen unserer Häuser verbündet“, konstatierte der Architekt und antwortete auf diesen Missstand mit der Streitschrift: „Entdämmt euch!“ Das 65 Seiten schmale, aber gehaltvolle Buch erschien 2015 und ist immer noch zu haben. Sein tiefes Verständnis für die Typologie des Streckhofs zeigt sich am besten und deutlichsten in „Streckhöfe Ein Lookbook.“




Als begnadeter Fassadenleser schenkte er der Welt jede Woche im Falter und auf Instagram eine Kolumne. Am 29. Mai dieses Jahres findet sich dort ein bemerkenswerter Eintrag: „Heureka! Nach über einem Jahr Arbeit ist das neue Buch nun fertig und in sämtlichen Buchhandlungen erhältlich. Es ist das Produkt einer wunderbaren Zusammenarbeit mit dem Falter Verlag und der Fotografien Charlotte Schwarz. Unermüdlich zog sie den Sommer über durch Wien und trotzte dabei jedem einzelnen Standort das perfekte Licht ab. Das Ergebnis sind Kleinodien: Häuser, die man vielleicht schon oft gesehen hat, aber gewiss nicht „so“!“ Die Seele dahinter aber liegt in den Worten und Geschichten, die er jeder Fassade und seinem Haus entlocken konnte. Wie gut, dass es fertig wurde, sein Buch „Sprechende Fassaden.“ Mit ihm können wir nun auf Entdeckungsreise durch Wien begeben, fast „so“, als ob Klaus-Jürgen Bauer neben uns herginge und die Geschichten hinter den Häusern erzählte.
Diesen Nachruf verfasste natürlich die Frau hinter „genau!“ – er kostete sie einige Stunden. Um darüber nachzudenken, wer Klaus Jürgen Bauer für sie war, in seinen Fassadenleser-Beiträgen und Texten zu lesen, mit seiner Frau zu sprechen und vor allem, Worte zu finden, die ihm gerecht werden. Aus Neugier schrieb sie einen Prompt für ChatGPT4, einen ebenso langen Nachruf zu verfassen. Die KI brauchte keine zehn Sekunden dafür.