Sammeln ist eine Kunstform, wenn man es derart hingebungsvoll und exklusiv betreibt wie René Prassé. Der unauffällige Mann mit der randlosen Brille ist längst ein fixer Bestandteil der Wiener Architekturszene. Er sammelt Architektenskizzen. 1.200 hat er inzwischen.
Selten, vielleicht nie, war das Büro von querkraft Architeken in der Wiener Börse so voll wie bei der Soirée für René am 11. März 2025. Auch wenn seine fast beispiellose Hartnäckigkeit auf leisen Sohlen einige Architekturschaffende schon genervt haben dürfte, an diesem Abend war das längst vergessen. Hermann Czech, Boris Podrecca, Elsa Prochazka, Henke Schreieck, Maria Auböck und viele mehr waren da, um René Prassé ihren Respekt zu zollen. Seit Jahrzehnten gibt es kaum eine einschlägige Veranstaltung, auf der er nicht zu finden wäre.

Der unauffällige, stets korrekt gekleidete Mann mit der randlosen Brille und dem feinen, angedeuteten Lächeln, der so leise spricht, ist ein leidenschaftlicher Sammler von Architekturskizzen. Tausendzweihundert hat er inzwischen erbeutet, lauter Unikate, so vielfältig wie ihre Spender und Spenderinnen. Der Großteil stammt aus der Architektur, doch auch einige Kunstschaffende sind darunter. Peter Pongratz oder Wolfgang Pühringer, ein Grenzgänger zwischen beiden Disziplinen. Es gibt hingebungsvoll gezeichnete, hastig hingeschluderte, geklebte, gekritzelte, aquarellierte, minimalistische, barock ausufernde. Jede eine Charakterstudie en miniature, alle zusammen ein Konvolut in mittlerweile fünf Bänden.
Auf mehreren Wegen finden sie in das ledergebundene Buch von René Prassé finden, die Anbahnung ist immer dieselbe: Er spricht den oder die Vortragende an, wechselt ein paar freundliche, wertschätzende Worte und bittet dann um eine Skizze. Den schwarzen Koffer mit seinen Büchern hat er immer dabei, Pritzker-Preisträgerin Kazuo Sejima reagierte leicht befremdet. Querkraft-Architekt Jakob Dunkl, bekennender Prassé-Fan, mehrfacher Skizzenspender, Initiator und Gastgeber der Soirée konnte sie anschließend doch überzeugen: ein Wunsch, dem ihre Pritzker-Vorfahrin Zaha Hadid mit großzügiger Gelassenheit nachgekommen war, ließ sich schwer verwehren. Je mehr Bände, umso gewichtiger die Namen der Skizzierenden.



Margharete Schütte-Lihotzky, Bogdan Bogdanovic, Zaha Hadid, Friedrich Achleitner, Friedrich Kurrent, Margherita Spiluttini und einige andere ihrer Schöpfer und Schöpferinnen leben nicht mehr, ihre Skizzen, Fotos und Collagen bleiben. Rund zweihundert zeigte und kommentierte Volker Dienst bei der Soirée für René, viele schöne sind darunter. Günther Domenig schenkte Prassé eine besonders elaborierte, dynamische, dichte, sehr charakteristische Zeichnung, unter die er schrieb: „Vom Festen zur Auflösung. Wie Weidenruten, die sich im Wind bewegen.“ Eine sehr angemessene Haltung zur Architektur und zum Leben.
Ledergebunden, mit Fadenbindung und Büttenpapier
Auch die Bücher sind besonders: An die fünfhundert bis sechshundert Euro kostet ein Band, jeder ist ein buchbinderisches Meisterstück, in Leder gebunden, mit Prägung, Fadenbindung und etwas stärkerem Büttenpapier. Das ist man Aquarellfarben schuldig. Wertvolles drückt Wertschätzung aus und zieht Wertvolles an. Band eins und zwei bringen es auf rund 200 Seiten, Band drei sogar auf 325. Zuerst hatte sich Prassé einen Schuber dazu machen lassen, der bewährte sich auf Dauer nicht.

Architekturschaffende sind kreativ. Pichler & Traupmann kamen auf die Idee, Karton einzuschneiden und zu falten. Sie waren nicht die einzigen, die dem Papier eine dreidimensionale Komponente gaben, was den Schuber unschön verbeulte. Prassé stieg auf Kassetten um. Nachdem er den Architekturschaffenden lang die Bücher mitgegeben hatte, fand er mit der Zeit einen Weg, das Procedere zu optimieren und allzu exzessive kreative Ergüsse einzudämmen: nun bekommt jeder oder jede zwei Seiten in die Hand, die Prassé dann einlegen kann. Als Format wählte er A4, nicht zu groß, nicht zu klein, gut zu transportieren, gut zu versenden, passt in jede Aktentasche. Das entspricht seinem Pragmatismus und der fast buchhalterischen Genauigkeit, mit der er seine Sammlerstücke katalogisiert.


Ideen sprengen ohnehin immer alle schnöden Maßstäbe, wenn sie gut sind. Diese fünf Bände strotzen davon, und wenn auch jede für sich ihre eigene Welt erschließt, gibt es doch wiederkehrende Motive: Mehr oder weniger tiefsinnige Wortspenden, mehr oder weniger gelungene Portraits von Prassé, sowie unterschiedlichste Varitationen der Topoi Beton und Haus. Den originellsten Gedanken dazu brachte Otto Kapfiner auf Papier: Für ihn ist der Hut die minimalste, leichteste und körpernächste Form der Urhütte. Auch das Wortspiel von Prassé und Bra ist beliebt. Margharethe Cufer nahm es zum Anlass, ihre Brüste auf den Kopierer zu legen. Das schien ihr dann doch zu explizit, sie klebte einen Streifen Papier drüber. Um eine Zeichnung von Hans Hollein, Österreichs erstem und bis dato einzigen Prizker-Preisträger zu ergattern, musste Prassé seinen ganzen Charme bei Holleins Sektretärin, Frau Jenewein, in die Waagschale werfen. Der Einsatz lohnte sich: Hollein machte ein schönes Aquarell. Darauf ist Prassé besonders stolz.


Renés Sammelleidenschaft äußerte sich früh: Mit 16 Jahren kaufte er Elias, dem Sohn von Ernst Fuchs, ein Selbstportrait seines Vater ab. In den 1960ern dokumentierte er mit 400 ASA in seiner Exakta auch den Wiener Aktionismus life, seine Aufnahmen sind längst in Sammlungen der Albertina, des Lentos und anderen Museen. Prassé studierte an der Wiener Universität für Bodenkultur Kulturtechnik und Wasserwirtschaft, Kunst und Architektur aber hatte er immer schon geliebt und seine Leidenschaft schummelte sich dann doch in sein Berufsleben. Er arbeitete bei den Ebenseer Betonwerken und Prassé wohnt in Alt Erlaa, wo er zehn Jahre lang in einem leeren Geschäftslokal des dortigen Einkaufsparks eine Galerie betrieb. Natürlich hat er auch eine Skizze von Harry Glück.

Den Anfang machte Friedrich Achleitner: er brachte ihn in einer kalligraphischen Analyse aus Wort und Witz auf den Punkt. Den immanenten Witz der vertikalen Linien von Eichinger oder Knechtl versteht man erst, wenn René Prassé die Geschichte dazu erzählt. Die beiden komprimierten ihr Projekt zur Neugestaltung des Hauptplatzes von Wiener Neustadt zu mehreren vertikalen Linien. „Ich durfte sie niemandem zeigen, bis der Wettbewerb juriert war, sonst könne jemand abzeichnen“, merkt Prassé an.


„Are architects the root of all evil?“ stellte Peter Noever keck in Frage, die schönste aller Antworten darauf findet sich andernorts: „Architekten sind die Herrscher des Glücks“, notierte Christian Heiss vom Atelier Heiss und zeichnte ein Herz dazu. Das Statement von Rem Koolhas war an Winy Maas adressiert, dekontextualisiert vermittelt es abgeklärte Größe: „Imitation is the greatest compliment.“ Schon allein dafür muss man René Prassé, querkraft und Volker Dienst, dem Mastermind von architektur in progress dankbar sein.