Iwan Baan ist einer der besten zeitgenössischen Architekturfotografen. Er hält mit seiner Kamera fest, was viele mit bloßem Auge nicht sehen – ganz ohne Deepfake. Für sein jüngstes Buch bei Lars Müller Publishers hat der holländische Fotograf den Alltag in Rom und in Las Vegas dokumentiert.
Vor dem Objektiv von Iwan Baan nehmen Räume Gestalt an, werden erfahrbar, erhalten Proportionen, gehen Relationen ein. Am besten sind Baans Fotos immer dann, wenn er im Reportageformat arbeitet. Seine Narrative sind dann bevölkert mit Menschen, die sich im Raum bewegen, ihn vereinnahmen, sich aneignen und teils auch umdeuten. So entstehen sensible eigene Narrative – und es sind diese Geschichten, die Architektur letztlich ausmachen und ihren Alltag erzählen,

Das ungewöhnliche Paperback „Rome – Las Vagas. Bread and Circuses“ ist bei Lars Müller Publishers erschienen und mit einfachen Heftklammern gebunden: eine Art Fotomappe also. Der Band enthält insgesamt 180 meist seitenfüllende Fotografien, die Iwan Baan im heißen Sommer 2022 in Rom und in Las Vegas aufnahm. Seine Beobachtung der beiden Städte hat einen konkreten Hintergrund: Sie sind für eine Ausstellung in der American Academy in Rom enstanden, die Idee der Kuratorin Lindsay Harris war eine Art Bestandsaufnahme des Status Quo zum 50sten Jubiläum des legendären Essays „Learning form Las Vegas“ (1972) von Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izvenour. Was also haben wir von Las Vegas gelernt?

Es sind vor allem zwei Perspektiven, die Baan mit seiner Kamera festhällt: Die eine im Alltag, aus der Sicht der Menschen vor Ort. Die andere ist eine Luftperspektive – sie deckt urbane Zusammenhänge auf. Der Trevi-Brunnen in Rom zeigt sich da als ferne Kulisse hinter den Touristenmassen an einem heißen Sommerstag. Die Kopie des David von Michelangelo vor einer goldenen Apsis irgendwo in Las Vegas wirkt wie eine Art Signal für den Geldautomaten, der sich in einer Nische gleich daneben befindet. Rom und Las Vegas sind sich in den Aufnahmen teils verblüffend ähnlich, sogar so sehr, dass manchmal auf den ersten Blick kaum ein Unterschied zu erkennen ist. Ist die Lebenswirklcihkeit in beiden Städten wirklich kaum zu unterscheiden, wie Ryan Scavnicky in seinem Essay „Beard and Circuses“ meint: „because both cities are covered in very distracting articulations; there are giant marble structures, wide streeds flooded by beautiful people and loud building working hard to capture your antantion and mark your place in the city“?

Baans Beobachtungen beider Städte sind geschickt angeordnet. Nach einer Einführung mit Gegenüberstellungen – Rom auf der einen, Las Vegas auf der anderen Seite – folgen längere Fotoessays die jeweils nur der einen oder der anderen Stadt gewidmet sind. Menschen bevölkern den urbanen Raum in beiden Städten. Das Leben und der Alltag werden in diesem wunderbaren Fotoalbum vergleichbar, egal ob am Spielautomaten im Casino oder vor dem Brunnen am Pantheon.


Was also hat sich geändert seit „Learning von Las Vegas“? Hat sich überhaupt etwas geändert? Izzy Kornblatt beschreibt in seinem Essay „Visiting Denise“ den Besuch bei Denise Scott Brown in Philadelphia. Nicht wirklich viel habe sich geändert, meint die 92jährigen amerikanische Architektin. Die kommerziellen Neonlichter im Las Vegas von damals sind heute durch monumentale Szenographien ersetzt, die in Themenspektakeln wie dem Excalibur castle oder den Luxor Pyramiden und vielen anderen Orten um den Las Vegas Strip kulminieren. Wer in Rom das Original und in Las Vegas die nachgebaute Vergnügungskulisse sehen möchte, der hat es tatsächlich nicht einfach mit Iwan Baans Aufnahmen. Zu nah liegen die Aufnahmen der alten und der neuen Welt beieinander, auch wenn ihr historischer Hintergrund nicht unterschiedlicher sein könnte. Das pointierte Resümee von Izzy Kornblatt trifft den Punkt: Es geht hier eigentlich um eine empathische, ernsthafte und nicht wertende Methode, sich Orten anzunähern. Diese Methode machte sich Denise Scott Brown 1972 zu eigen und führte sie damals in die Architektur ein. Und eben diese Methode lebt heute in den Aufnahmen von Iwan Baan weiter.

Iwan Baan, Rome Las Vagas. Bread and Circuses, With contributions by Lindsay Harris, Izzy Kornblatt, Ryan Scavnicky, English texts, 17 × 22,7 cm, 320 pages, 180 pillustrations, paperback, Lars Müller Publishers, Zurich 2024, ISBN 978-3-03778-753-3978-3