Lustvoll zerstört die Ausstellung „Suburbia. Leben im amerikanischen Traum“ im Architekturzentrum Wien das Bild vom privaten Kleinfamilienglück mit Haus, Garten, Grill und Pool in der amerikanischen Vorstadt.
Nach dem zweiten Weltkrieg kam alles Gute aus Amerika: Das Care Paket, der Marshallplan, Kaugummi, Schokolade, Nylonstrümpfe und der Traum vom Einfamilienhaus mit modernen Haushaltsgeräten, Garten, Garage und Pool. Hollywood reproduzierte ihn in vielen Variationen, der „american way of life“ wurde zur globalen Leitkultur und Suburbia trat seinen Siegeszug um die Welt an. Ohne Automobil wären diese monofunktionalen Einfamlienhausteppiche an weitverzweigten Straßennetzen zum nächsten Einkaufszentrum nicht überlebensfähig, das Gesellschaftsmodell dahinter ist zutiefst konservativ und kapitalistisch.

Die Ausstellung „Suburbia – Leben im amerikanischen Traum“ leuchtet das Phänomen umfassend aus. Sie wurde von Philipp Engel für das Centre de Cultura Contemporània de Barcelona (CCCB) kuratiert. Gentrifizierung und Overtourism haben auch dort das Leben im Zentrum für Einheimische so unleistbar gemacht, dass sie ins Umland ausweichen mussten, wo ehemalige Industriegebiete von dichten Siedlungsteppichen durchsetzt sind. Suburbia ist zum überlebenswichtigen Rückgrat der Stadt geworden und gibt es mehr Einfamilien- als mehrgeschossige Wohnhäuser. Das Problem betrifft nicht nur Barcelona, drei von fünf Europäern und Europäerinnen leben heute in Suburbia.

Archive, Milano
Philipp Engel ist kein Urbanist, sondern Filmkritiker und Journalist. Seine Perspektive reicht weit über die Architektur hinaus und tief in die Gesellschaft hinein. Zahlreiche künstlerische, historische, feministische und urbanistische Positionen führen zu einer Ausstellung, von fast popkulturellen Unterhaltungswert. Das passt hervorragend zu Suburbia, das als popkulturelles Phänomen in amerikanischen TV-Shows seinen Siegeszug um die Welt antrat. Es ist längst zum universalen Lebensmodell geworden. „Ich wollte aber nicht simplifizieren“, sagt Engel. „Es gibt eine große Diversität in den gegenwärtigen Vorstädten.“ Fotografin Jessica Chou dokumentiert das Suburb Monterey Park in Kalifornien, wo mehrheitlich Asiaten und Asiatinnen ebenso typisch amerikanisch wie asiatich einen gleichermaßen hybriden Lebensstil pflegen. Seine Perspektive reicht weit über die Architektur hinaus und tief in Geschichte, Kunst, Kultur, Medien, Werbung und Film. Engel weiß um die Macht der Bilder.

Auch crime und suspense kommen nicht zu kurz: So dokumentierte die forensische Fotografin Angela Strasshem von 1996 – 2004 Leichen und Tatorte. Hinter hinter so mancher schmucken Fassade mit weißer Holzveranda lauern Morde und lassen sich scharfe Messer finden. Nachhaltigen Eindruck machen die Aufnahmen des italienischen Fotografen Gabriele Galimberti. Er lichtete Waffenbesitzer und Besitzerinnen ab, die in den Vorgärten und Pools ihrer suburbanen Domizile stolz vor dekorativ drapierten Waffenarsenalen posieren. Längst ist auch der grundrechtlich verbriefte Besitz von Schusswaffen ein fixer Betandteil des „american way of life“.

Die Geschichte von Suburbia beginnt im 19. Jahrhundert. Damals machten die industrielle Revolution und soziale Unruhen sie Städte nicht mehr lebenswert, in ein schmuckes Haus im grünen Umland ausweichen zu können, wurde zum Privileg. Mit Llewellyn Park in New Jersey und Tuxedo Park in New York entstanden die ersten gated Communities. Man sieht sie auch in den faszinierenden Overviews, die Benjamin Grant aus Satelliten- und Luftaufnahmen erstellte. Häuser sind hier längst zu Patterns geworden. Heute wohnen 98,8 % der Amerikaner und Amerikanerinnen wohnen in solchen Streusiedlungen. Umwidmen lassen sie sich nicht.



So richtig Fahrt nahm Suburbia nach dem zweiten Weltkrieg auf. Der Kriegsveteranenverband gewährte zuückkehrenden Soldaten großzügige Kredite, die kleinen Häuschen in den Vorstädten kamen inklusive Haushaltsgerät kostengünstig vom Fließband. Elf Millionen Eigenheime in Suburbia für die Soldaten und ihre jungen Familien, die kollektiv traumatische Kriegserfahrungen teilten. So etwas stärkt das Gemeinschaftsgefühl, ihre schwarzen Mitkämpfer waren allerdings ausgechlossen. Sie hatten keinen Anspruch auf die Hypothekardarlehen und lebten in überfüllten urbanen Gettos, die außerdem auf Stadtplänen rot markiert waren. Damit war die Saat der urbanen Segregation gelegt. Sozialer Wohnbau ist in Amerika so gut wie inexistent, sobald Schwarze in eine Nachbarschaft ziehen, verliert diese an Wert und Weiße wandern ab.
Suburbia wurde Inbegriff des „american way of life“, der selbstverständlich weeiß und stark vom Ideal der glücklichen Familie geprägt war. Als „General Motors der Wohnungswirtschaft“ bezeichnete William Levitt (1907 – 1994) sein Bauunternehmen, das zu seinen beste Zeite alle fünfzehn Minuten ein Haus produzierte. Levittown auf Long Island brachte es auf 60.000 Einwohner*innen und war der erste von einem Dutzend Vororten, die er entwickelte. „Nach dem zweiten Weltkrieg war Stadtplanung kein Thema, ganz im Gegenteil: Begleiteffekt der Suburbanisierung war das innerstädtische Demolieren ganzer Stadtteile, das euphemistisch als ,urban reneval’ bezeichnet wurde. Es war ein mutwilliges Zerstören gewachsener baulicher und sozialer Strukturen, um Stadtzentren von Wohnbauten frei zu machen und eine Spielwiese für Investoren zu schaffen“, schreibt Judith Eiblmayr in ihrem Beitrag im Spectrum der Presse, der witzigerweise gerde am 8. März, dem Welttag der Frau. Sehr passend, denn auch deren Rolle wurde durch Suburbia, das dem Ideal der Kleinfamilie mit wochenendlichem Barbecue im Garten huldigt, maßgeblich beschnitten: Als „Engel des Hauses“ kümmerte sich um Heim und Herd, ein Klischee, das Feministinnen lustvoll demontierten. Vom amerikanischen Traum blieb nicht viel, doch er eignet sich hervorragend für eine Ausstellung, die wirklich Spaß macht.

Sie wurde vom AzW um einen Östereich-Teil ergänzt, den Lene Benz, Katharina Ritter und Agnes Wyskitensky kuratiert haben. Österreich ist traditionell das Land der Häuselbauer, der Traum vom eigenen Haus mit Garten wurde hierzulande mit viel Nachbarschaftshilfe und Eigenleistung umgesetzt, familiäre Krisen und diverse psychosoziale Nebenwirkungen nahm man als Kollateralschäden stoisch in Kauf. Fertigteilhäuser etablierten sich hierzulande erst später, dafür umso nachhaltiger. 1991 wurde die „Blaue Lagune“ neben der Shopping City Süd eröffnet, inzwischen ist jeder vierte Neubau ein Fertigteilhaus. Hartnäckig hält sich das Einfamilienhaus als liebste Wohnform, mit gravierenden Folgen. Einkaufszentren erfordern Zufahrtstraßen und Parkplätze, Ortskerne veröden, Böden werden versiegelt, Landschaften und ihre Biodiversität zerstört, die Ernährungssicherheit gefährdet. Eine aktuelle Studie der BOKU geht davon aus, dass sich die zersiedelte Fläche in Österreich zwischen 1975 und 2020 verfünffacht hat.

Viele der jungen Paare, die ihrer Kinder zuliebe ins Grüne zogen, sind inzwischen alt, der erwachsene Nachwuchs will meist nicht ins Haus der Kindheit im Speckgürtel zurück. Maximal zwei Personen bewohnen fast die Hälfte aller Einfamilienhäuser. Hier liegt enormes Potential an Wohnraum brach. „Wir sprechen von einem Bestand von etwa 1,5 Millionen Einfamilienhäusern“, sagt Lene Benz. „Der Umgang damit wird eine große Aufgabe für die Architektur der Zukunft.“ Die Ausstellung zegit 13 Beispiele für einen konstruktiven, zukunftsfähigen Umgang mit den Einfamilienhäusern der ersten Generation. Am faszinierendsten sind Strategien, die weit über das Einzelobjekt hinaus reichen. Nach Vorbild des Mietshäuser-Syndikats entzieht das Alt Öttinger SauRiassl Syndikat alte Einfamilienhäuser dem Markt, vergesellschaftet, saniert und vergibt sie im lebenslangen Wohnrecht. Acht Euro pro m² kostet das, geheizt wird mit Energie aus lokaler Erzeugung.

Die ausgesuchten Einzelbeispiele entsprechen der Individualität der Häuselbauer. Architektin Julia Kick sanierte und erweiterte das großmütterliche Haus für deren Enkelin so an, dass im Bedarfsfall auch eine externe Pflegekraft ihre eigene Wohnung hätte. Die Oma starb, die Architektur hielt stand, Einzugswillige fanden sich sofort. So achtsam wie verspielt transformierten ASAP Hoog Pitro Sammer eine ehemalige Industriellenvilla aus den 1950er Jahren in das Kinderabenteuerlabor KALO.“